0743 - Die Kinder des Adlers
nicht mal in der Schubkarre transportieren lassen.
»Er ist der Einzige, der hier ein Flugzeug zur Verfügung hat«, erklärte Tendyke, als der Mann sich neben sie stellte. Nicole rückte ein Stück zur Seite, um dem Geruch von Bier, Zigaretten und Schweiß zu entgehen.
»Sie sollten sich die Sache nochmal überlegen«, nuschelte der Mann. Sein Gebiss bot eine seltsame Zusammenstellung aus Lücken, aus denen Speicheltröpfchen zischten, und glitzernden Goldzähnen.
»Sie werden mehr als fürstlich bezahlt«, antwortete Tendyke. Er wirkte gereizt, weil er inzwischen schon zu viele und zu lange Diskussionen mit zu vielen Männern hinter sich hatte.
Der Pilot schüttelte den Kopf. »Sie wissen nicht, wovon ich rede. Sie wollen stundenlang über den Dschungel fliegen, mit einer Maschine, die voll ist mit Treibstoff, völlig überladen. Sie wollen zu einer winzigen Piste ohne irgendeine Anflugsteuerung. Ein kleiner Fehler und Sie verpassen die Piste. Dann fliegen Sie weiter und weiter, bis Ihnen der Sprit ausgeht und Sie in den Dschungel krachen. Oder Sie finden die Piste, und dann müssen Sie auf dem Rückflug mit einer Maschine starten, die immer noch überladen ist, damit Sie, wenn Sie keinen Gegenwind haben, mit dem letzten Tropfen Sprit wieder hier einschweben können. Andernfalls müssten Sie ungefähr ein Jahr warten, bis genügend Treibstoff auf dem Wasser zur Piste gebracht wird. Dort unten kriegen Sie nämlich keinen Tropfen.«
»Wir fliegen nicht zurück. Wir bleiben dort«, sagte Nicole. Der Pilot schaute sie erstaunt an, als hätte er zum ersten Mal eine Frau vor sich, die reden kann.
»Dort unten herrscht Saramango«, sagte er nur, drehte sich um und ging zum Hangar.
»Wer ist dieser Saramango?«, wollte Nicole wissen Tendyke hob etwas hilflos die Schultern. »Er scheint dort unten der Chef zu sein. Aber sie reden hier nicht gerne über ihn.«
Den letzten Satz hatte Nicole schon nicht mehr mitbekommen. Sie schaute mit großen Augen auf das klapprige Flugzeug, das jetzt aus dem Hangar gezerrt wurde. Es war eine einmotorige Maschine zweifelhafter Bauart, aber unzweifelhaft hohen Alters.
Im Nähertreten erkannte Nicole entsetzt die Ölfäden, die über die Motorhaube liefen, und die Eisenstange, mit der man einen Bruch des Hauptfahrwerks repariert hatte, als hätte man ein gebrochenes Bein provisorisch geschient.
Der Innenraum der Maschine wurde vor allem von zwei halb durchsichtigen Plastiktanks eingenommen, in die jetzt mit der Hand aus Fässern Treibstoff gepumpt wurde.
»Nie und nimmer setzte ich mich in diesen fliegenden Molotow-Cocktail«, beschied Nicole Duval.
»Alles klar«, lautete die Antwort Tendykes, »dann kehren wir um.«
»Es muss doch einen anderen Weg geben als diesen Seelenverkäufer der Lüfte!«
»Ja, wir könnten laufen. Der Wasserweg wäre auch möglich. Aber auch der würde Wochen in Anspruch nehmen und man müsste damit rechnen, dass man sich auf den Dutzenden von Nebenläufen verfährt. Vielleicht entdecken wir sogar einen reizvollen Wasserfall…«
Nicole verzichtete auf eine Antwort. Zeit hatten sie nicht zu verschenken.
Mit verbissen zusammengepressten Lippen drängte sie sich auf den Rücksitz der Maschine, neben das Gepäck. Ihr Rücken lehnte an den Zusatztanks, der Treibstoff schwappte direkt an ihrem Ohr. Tendyke und der Pilot kletterten auf die durchgescheuerten Vordersitze. Vor der Frontscheibe baumelte eine bunte Madonnenfigur, auch auf der Armaturentafel klebten Bildchen mit kitschigen religiösen Darstellungen.
Der Pilot bekreuzigte sich, dann stellte er den Gemischregler und drückte die Zündung. Zwei Helfer begannen auf Handzeichen den Propeller zu drehen. Sie brauchten mehrere Versuche, bis der Motor zu husten begann.
Nicole schloss die Augen. Erst als die Maschine in der Luft war, öffnete sie die Augen wieder.
***
Neben der Piste, die sie zurückgelassen hatte, versuchte ein Mann, eine Funkverbindung herzustellen.
»Saramango… können Sie mich hören… Saramango…«
Der Mann ging auf Empfang und lauschte auf das Knistern der atmosphärischen Störungen. Mehrmals musste er seinen Anruf wiederholen, bis eine Antwort kam.
»Zwei sind unterwegs«, rief der Mann in das Mikrofon. »Zwei Weiße. Eine Frau aus Europa und ein Gringo. Nein, sie sind zusammen, aber sie sind kein Paar. Sie haben nach dem Franzosen gefragt.«
***
Nebel stieg auf und bezeugte die Nähe zum Wasser. Die Sonnenstrahlen fielen durch das Blätterdach wie Pfeiler einer
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