0743 - Die Kinder des Adlers
Kathedrale. Zamorra hatte die Rinne hinter sich gelassen.
Jetzt schritt er auf einem leicht abfallenden, angenehm weichen Boden in Richtung auf den Fluss.
Es gab kaum Unterholz. Die hohen schlanken Stämme vermittelten ihm den Eindruck, einen Saal zu durchqueren. Durch das Laubdach schimmerte ein mildes, grünes Licht. Er konnte das Rauschen des Wassers schon von weitem hören und erkannte ein weißliches Schimmern.
Noch wenige Schritte, dann stand er am Ufer eines reißenden Flusses, der sich durch Stromschnellen zwängte. Die Strömung warf sich zu hohen Wellen auf, wandelte sich dann zu tückischer Glätte, als wäre die Oberfläche aus poliertem Glas und tobte dann gurgelnd, saugend und schmatzend um einige Felsblöcke, die sich der Wucht des Wassers widersetzten. Ein feuchter Dunst, aufgewirbelt von der Gewalt der Elemente lag über allem und legte sich wie ein ständiges Nieseln auf das Ufer.
In dem Moment, in dem er diesen Fluss sah, wusste der Dämonenjäger, dass er auf die andere Seite musste. Die Überzeugung war so stark, dass sie keinen Raum für Zweifel ließ. Nach einem kurzen Augenblick der Überlegung wandte sich Professor Zamorra flussabwärts.
Das Ufer war schlammig, manchmal sank er bis zu den Knöcheln ein und hatte Mühe, die Füße aus dem Morast zu ziehen. Immer noch tobte das Wasser über Stromschnellen.
Endlich brauste der Fluss durch ein Tor, das von zwei kleinen Felseninseln gebildet wurde und strömte nun ohne Widerstand in einem breiteren Bett. Der Tröpfchenregen, der alles durchnässt hatte, verschwand. Dafür stiegen Wolken von Moskitos aus dem Uferschlamm und stürzten sich auf Zamorra.
Der musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht die Nerven zu verlieren bei dieser sirrenden, stechenden, krabbelnden Attacke. Er schlug wie wild um sich, merkte, wie nutzlos diese Abwehr war und zog sich zum Schutz die Jacke über den Kopf.
Jetzt sehe ich so lächerlich aus wie ein Büro angestellt er, der seine Föhnfrisur vor einem Sommerschauer schützen will, dachte der Dämonenjäger.
Laute Stimmen unterbrachen die Überlegungen Zamorras. Er vergaß die Moskitos und näherte sich vorsichtig der engen Flussbiegung, hinter der die Stimmen erschallten.
Es waren spanische Worte -- voller altertümlicher Ausdrücke, aber auch voller Streit und Wut.
Der Anblick, der sich dem Beobachter bot, war atemberaubend.
Der Fluss teilte sich hier in mehrere Arme. Vorher verbreiterte er sich, und aus den kleinen, hastigen Wellen war zu erkennen, wie seicht das Wasser an dieser Stelle war. Am Ufer befand sich eine Gruppe Männer. Sie trugen rostfleckige Brustharnische und geschwungene Helme, ihre Kleidung bestand nur noch aus Fetzen.
Zamorra näherte sich. Obwohl er jetzt unmittelbar neben der Gruppe stand, schien ihn keiner zu bemerken. Er war wie Luft für sie.
Als der Dämonenjäger in eines der Gesichter schaute, begriff er, warum. Im Schatten der halb verrosteten Helme lagen Mumiengesichter - faltige Fratzen mit ledriger Haut, lippenlosen, zahnlosen Mäulern, aus denen hasserfüllte Flüche drangen. Die Augen waren starr und lagen wie trübes Milchglas in den tiefen Höhlen. Nur ein Glitzern von Gier und Neid gab ihnen eine Spur von trügerischer Lebendigkeit.
Der Dämonenjäger fuhr zurück. Dies hier waren keine Menschen mehr. Es waren Wiedergänger. Es waren Verfluchte, die sich selbst ihre Strafe aufgeladen hatten, und die sich von der eigenen Gier angetrieben, wie ein Mechanismus, dessen Schwungrad seit Jahrhunderten läuft, durch die Hölle der immer gleichen Todesstunden quälten.
Keuchend und lästerlich fluchend luden sich die Männer ihre schweren Bürden auf. Das Gewicht ihrer Last drückte sie fast zu Boden. Trotzdem, den Rücken gebeugt, den Kopf fast auf der Erde, stiegen sie in die Furt. Heulend vor Wut schleppten sie sich vorwärts, schwankten, taumelten und hielten doch eisern ihre Beute fest. Das Gewicht trieb sie förmlich in den weichen Flusssand, das Wasser staute sich als kleine Welle an ihren Knien und rauschte um ihre Beine. Die Männer wankten, strauchelten, sanken auf die Knie. Das Wasser überspülte sie, aber sie rafften sich ächzend wieder auf, wankten steifbeinig weiter. Einer nach dem anderen stürzte, und als wäre ihre Last an ihnen festgewachsen, behielten sie das tödliche Gewicht auf dem Rücken, kamen unter Wasser und wurden von der Strömung mitgerissen. Keiner erreichte auch nur die Mitte des Flusses.
Zamorra kannte die Geschehnisse. In irgendeiner
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