0743 - Die Kinder des Adlers
in dem kippligen Boot, während Nicole, Robert Tendyke und die Indianerin in der Bootsmitte auf dem Boden hockten.
Bevor sie in den Einbaum sprangen, hatte die Indianerin sich das billige bunte Kleid und die Unterwäsche ausgezogen, sich das Make-up aus dem Gesicht gewischt und dann die Kleidung mit dem Ausdruck der Verachtung in den Fluss geworfen. Sie trug jetzt nur einen schmalen Lendenschurz, der an einer Hüftschnur befestigt war.
Nach einer Weile begannen die Männer zu singen, während sie in schnellem Takt die Paddel ins Wasser stießen. Jedes Mal lief ein Ruck durch das Boot, der Bug stieg auf und wurde von einer weißen Welle umspült. Trotzdem ging es jetzt nicht mehr so schnell wie am Anfang. Die Strömung war stärker geworden, das Wasser zischte ihnen entgegen, als würden sie über eine blank polierte Fläche fahren. Aus der Ferne erklang ein Rauschen, das mit jedem Paddelschlag lauter wurde.
Ein einzelner Felsen markierte den Beginn oder eher das Ende einer Stromschnelle. Die Männer steuerten den Einbaum geschickt in das Kehrwasser des Felsens, ließen sich von der Gegenströmung flussaufwärts saugen und manövrierten im letzten Moment an dem Hindernis vorbei. Der Fluss schäumte vor ihnen über eine Vielzahl von Stufen und Felsbarrieren, vorbei an Inseln, auf denen sich einzelne Bäume hielten. Das Rauschen und Tosen des Wassers überdeckte alle anderen Geräusche, ein feiner Nebel lag in der Luft und bedeckte alles mit schimmernder Feuchtigkeit.
Trotz der Gewalt der Strömung kämpfte sich der Einbaum geschickt weiter aufwärts. Manchmal zog sie eine Gegenströmung. Manchmal mussten die Männer hektisch die breiten Paddel ins Wasser rammen und aufpassen, dass die Strömung sie ihnen nicht aus der Hand riss. Das Boot stampfte unter der Gewichtsverlagerung, wurde von kurzen steilen Wellen getroffen, nahm Wasser über. Auf ein Kommando wühlten die Paddel noch einmal mit aller Macht den Fluss auf, dann stieß das Boot in ruhiges Wasser.
Dort wurde der Einbaum an Land gezogen, und die Indianerin nahm Nicole an der Hand.
Sie befanden sich auf einer der Inseln. Niedrige Büsche, die ständig von der Gischt gepeitscht wurden, umrahmten eine Felskuppe. Die Gischt umgab die Insel wie eine Nebelwand und ließ die Umgebung nur schemenhaft erkennen.
Sie liefen auf den Felsen zu. Bevor sie in seinem Schatten verschwanden, stockten alle. Durch das Rauschen und Toben der Wassermassen drang von Ferne, leise, aber doch deutlich, ein Schrei.
In einer geschützten Felsnische hockten einige Frauen um ein Krankenlager.
Sie begrüßten Nicoles Begleiterin stürmisch. Dann wandten sie sich wieder dem Kranken zu, einem alten Mann, der schwer atmend auf dem Rücken lag und mit durchdringenden Blicken in eine unbekannte Ferne schaute.
Jemand reichte Nicole eine Holztasse mit einem Kräutertrank. Während sie langsam die warme Flüssigkeit schlürfte und merkte, wie sich ihre Lebensgeister zu regen begannen, wurden einige Dinge zur Gewissheit, die sie schon vermutet hatte.
Saramango unternahm regelmäßige Streifzüge durch den Dschungel. Sie dienten ihm dazu, Sklaven für seine Grube zu fangen. Indianerfrauen, die seinen Leuten in die Hände fielen, überlebten die folgenden Vergewaltigungen selten, es sei denn, Saramango persönlich hielt sie für würdig, in einem seiner Bordelle zu arbeiten.
So kam auch Nicoles Begleiterin an den Ort ohne Namen.
»Was ist mit dem alten Mann«, fragte Nicole.
»Er ist unser Häuptling. Er ist sehr wichtig für uns.«
»Warum schafft ihr ihn nicht weiter fort? Weg von Saramango?«
»Das geht nicht. Er ist der Wächter. Er muss in der Nähe von Saramangos Grube bleiben. Sonst hat Saramango gewonnen. Und auch wenn der alte Häuptling stirbt, hat Saramango gewonnen. Aber hier sind wir sicher.«
Nicole stellte ihre Tasse in den feinen Kies ab, der das Ufer bedeckte. Der letzte Satz klang in ihr nach und vermittelte ihr ein herrliches Gefühl der Ruhe.
Doch plötzlich, als hätte eine unbekannte Macht einen Keil in ihr Bewusstsein geschlagen, war ihr bewusst, dass es hier keine Sicherheit gab. Und sie wusste auch, dass sie selbst die Spur gelegt hatte. Die Erkenntnis kam wie eine Lawine, ein Schwall von Unsicherheit und Lähmung.
In dem Moment, in dem Nicole klar wurde, was sie unwissentlich angerichtet hatte, schrie die Indianerin neben ihr angstvoll auf. In der trüben Gischt erschien ein dunkler, schwankender Schimmer. Ein schwarzes Etwas schwebte heran, umgeben von einem
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