0745 - Angst über Altenberg
stellte seinen Mitarbeiter zwischen Restaurant und Küche.
Nachdenklich strich der Hotelier über sein gewelltes Haar. »Das hört sich nicht gut an, Herr Massow. Wollen Sie nicht doch lieber nach Hause gehen, sich hinlegen und ausruhen? Ein, zwei Tage werden Ihnen bestimmt guttun.«
»Es ist schon okay. Außerdem ist es nichts Körperliches.«
»Andere Probleme?«
»Ja.«
»Das ist oft schlimmer als eine Grippe.«
»Nicht wie Sie denken, Herr Bangartz«, sagte Helmut Massow lächelnd. »Mit meiner Ehe und meiner Familie hat das nichts zu tun. Keine Sorge, ich bleibe Ihnen erhalten.«
»Das will ich auch hoffen.«
Helmut Massow blieb nachdenklich stehen. Erst nach einer Weile bewegte er sich und ging in das Kaminzimmer, sein Revier. Dort waren nur drei Tische besetzt.
Er sprach mit zwei Stammgästen, die das Essen lobten und auch Massows Weinempfehlung nicht ausließen. »Dieser Sancerre ist wirklich ausgezeichnet«, sagte die Frau. »Am tollsten finde ich es, daß Sie ihn glasweise ausschenken.«
»Wir kommen den Wünschen unserer Gäste eben entgegen«, erklärte Massow lächelnd und wünschte auch weiterhin noch einen guten Abend. Da die Leute versorgt waren, konnte er sich wieder für einen Moment nach draußen stehlen.
Die junge Dame an der Rezeption hatte genug mit ihrem Bildschirm zu tun. Sie schaute nicht einmal hoch, als sie ein kühler Luftzug traf, der durch den offenen Spalt ins Haus wehte.
Helmut Massow bewegte sich wieder auf seinen Lieblingsplatz zu, einem Ort mit bestem Blickwinkel auf den mächtigen Dom.
Auch jetzt stand der Dom dort. Es hatte sich nichts verändert, und wieder einmal fragte sich Helmut Massow, ob er sich bei der ersten Beobachtung nicht doch getäuscht hatte.
Der Betrieb um den Dom herum war um diese Zeit längst abgeflacht. Trotz der gerade angebrochenen Sommerzeit war es vielen zu kühl für einen Spaziergang.
Helmut Massow fröstelte ebenfalls, aber er hielt es aus und sein Blick streifte über die Front des Doms.
Von oben nach unten und umgekehrt. Immer wieder suchte er nach einer ungewöhnlichen Erscheinung.
Doch da war nichts, da kam auch nichts. Selbst vom Fluß her wehte kein Dunst, wie es sonst oft der Fall war. Es herrschte auch eine ungewöhnliche Stille. Massow empfand sie als beklemmend und so, als wollte sie ihn kurzerhand umzingeln.
Er bewegte sich unruhig auf der Stelle. Als er einmal auf die Uhr schaute, stellte er fest, daß er bereits über fünf Minuten in der abendlichen Kühle stand.
Es hatte sich nichts getan.
»Allmählich glaube ich, daß ich nicht mehr alle Tassen im Schrank habe«, sprach er zu sich selbst, wollte wieder ins Haus gehen, als er Schritte hörte.
Das war nicht ungewöhnlich, nur näherten sich die Geräusche von der rechten Seite her, wo auch die kleine Anlage mit dem Parkplatz lag.
Massow warf einen kurzen Blick - und drehte sich nicht mehr um, denn er hatte die beiden Ankömmlinge schon an der Größe erkannt. Es waren die beiden neuen Gäste, der Mann und der Junge.
Helmut Massow dachte daran, was ihm auf seiner letzten Rückfahrt widerfahren war, dann dachte er an das Verschwinden des Jungen und überlegte, ob er zur selben Stelle gelaufen war.
Möglich war alles.
Deshalb wartete Massow auch auf beide. Vielleicht konnte er etwas erfahren.
Er lächelte freundlich, nickte sogar und war bereit, sich den beiden zu öffnen. An seinen Job dachte er nicht, der war nicht mehr wichtig. Es gab andere Dinge, die er in den Vordergrund stellte. Er fühlte sich plötzlich wie jemand, der am Beginn einer neuen Ära steht und etwas erfährt, von dem er bisher nur zu träumen gewagt hatte.
Sekunden verstrichen.
Die beiden kamen näher.
Auch Massow setzte sich in Bewegung. Es sah so aus wie einstudiert, und die Umgebung schien den Atem anzuhalten, um nur nicht zu stören.
Plötzlich blieb der Junge stehen. Es gab keinen Grund. Trotzdem ging er keinen Schritt weiter. Für Massow sah er aus, als hätte er seine Hacken gegen den Boden gestemmt. Auch der Erwachsene ging nicht mehr weiter. Er stand vor dem Jungen, hatte den Kopf gedreht, und es sah so aus, als wollte er etwas sagen.
Dazu kam er nicht.
Der Zwölfjährige sprach. Dabei streckte er den Arm aus und deutete auf Massow. Die folgenden Worte schrie er ihm entgegen. »Er kennt ihn! Er hat meinen Vater gesehen! Er weiß Bescheid!«
Helmut Massow verstand die Welt nicht mehr.
***
Und ich verstand sie auch nicht. Es war zu plötzlich gekommen, deshalb hatte ich auch nicht
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