0748 - Raphael, der Unheimliche
entgegen seiner Behauptung den Computer manipuliert habe, um irgendein bestimmtes Ergebnis zu erzeugen oder einen Vorgang auszulösen.
Deswegen war die erste Aufgabe des Wachtpostens, sämtliche Speicher des Rechners, Extern- ebenso wie Hauptspeicher, auf ihren Inhalt zu untersuchen und sich zu vergewissern, daß die Speicherinhalte den Vorschriften entsprachen. Außerdem hatte der Posten die Pflicht, jeden Unbefugten am Betreten des Rechnerraums zu hindern, und zwar notfalls mit Waffengewalt.
Unbefugt aber war jedermann mit Ausnahme der Wachtposten selbst und der beiden Hauptverantwortlichen, Reginald Bull und Vater Ironside.
Die Untersuchung der Speicher war eine mühsame Angelegenheit, da eine solche Aufgabe im Rahmen der Rechner-Wartung nicht vorgesehen war und die entsprechenden Programme dafür erst verfaßt werden mußten. Inzwischen lief der Fertigungsprozeß der Northern Tiger Lilly auf Hochtouren.
Die Lastfähren mit überschweren Magnetbehältern voller Eisenplasma landeten in unaufhörlicher Folge, und in den riesigen Formfeldern entstand Deck um Deck des ersten Gigantraumschiffs. Der Zentralrechner versah seine Aufgabe fehlerfrei. An seinem Verhalten ließ sich vorläufig noch nicht nachweisen, daß der geheimnisvolle Raphael ihn manipuliert hatte.
Raphael selbst gab sich weiterhin zurückhaltend. Es fiel auf, daß er mitunter tagelang nicht aus seiner Behausung hervorkam.
Es gab Leute, die ihn gesehen haben wollten, wie er zu Fuß das Gelände der Werft verließ und in die Wildnis hinauswanderte. Reginald Bull hatte daraufhin ein paar Leute unter Sergio Percellars Kommando dazu abgestellt, Raphaels Baracke dauernd im Auge zu behalten und das Kommen und Gehen des Geheimnisvollen zu kontrollieren.
Es kam allerdings nicht viel dabei heraus. Einmal wurde Raphael in der Tat beobachtet, wie er frühmorgens, mehrere Stunden vor Sonnenaufgang, die Werft verließ.
Die Verfolger verloren jedoch bald seine Spur, und während sie an diesem Tag in Zwei-Stunden-Schichten rings um Raphaels Baracke Wache schoben, mußte sich das Objekt ihrer Aufmerksamkeit unbemerkt wieder in seine Behausung zurückgeschlichen haben.
Denn Raphael war plötzlich, gegen Mittag, wieder da, ohne daß ihn jemand hatte kommen sehen.
Reginald Bull war geneigt, diese merkwürdigen Beobachtungsergebnisse auf die Unfähigkeit der Beobachter zu schieben, obwohl Sergio Percellar bereit war, für die Wachtsamkeit seiner Leute die Hand ins Feuer zu legen.
Die Angelegenheit hätte sicher einer sorgfältigen Untersuchung bedurft. Aber für Reginald Bull und seinen Stab gab es vorläufig wichtigere Dinge zu tun.
Das fing damit an, daß an einem Nachmittag Joupje Termaar in Bulls Baracke gestürmt kam. Er war die Strecke von der Stollenmündung her gerannt und schnappte heftig nach Luft.
Joupje Termaar war ein kleiner, dicker Mann von schwer bestimmbarem Alter.
Die langen Jahre im Getto hatten an seiner Gesundheit gezehrt.
Seine Korpulenz wirkte mehr wie Aufgedunsenheit, die Wangen waren von bläulichen Adern durchzogen. Auf den ersten Blick machte er nicht den Eindruck eines Mannes, dem man große Verantwortung hätte aufbürden können.
Er hatte eine hohe, keifende Stimme, die so klang, als befinde er sich ständig im Zustand der Erregung.
„Hier... der letzte Dump!" stieß er hervor und schob ein umfangreiches Stück Druckfolie auf Bulls Arbeitstisch.
„Dump" ist der technische Ausdruck für die Abbildung eines Speicherinhalts über ein Sicht- oder Druckgerät. Reginald Bull musterte die Folie und sah einen Druckbereich, der von Hand farbig 'umrandet war.
„Was ist das?" fragte er.
„Das möchten wir auch gerne wissen", keifte Joupje Termaar.
„Dieser Bereich hat laut Vorschrift leer zu sein. Es dürfte gar nichts dort stehen. Statt dessen finden wir dort einen fremden Zeichenkode."
„Fremd...?"
„Es ist kein bekannter Kode", behauptete Joupje. „Wenn uns nicht alles täuscht, handelt es sich nicht einmal um einen Zwölf-Bit-Kode. Die Anzahl der besetzten Bits ist nämlich nicht durch zwölf teilbar."
„Handelt es sich um einen kritischen Speicherbereich?"
„Vorläufig nicht", lautete Joupjes Antwort. „Gegenwärtig produziert die Werft noch vollständige Röhrensegmente. Später, wenn der Durchmesser der Röhren über einem Kilometer liegt, werden nur noch Wandsegmente hergestellt, die draußen im Raum zu Röhrensegmenten zusammengesetzt werden. Wenn dieser Produktionsgang anläuft, dann enthält der Speicher die
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