0748 - Raphael, der Unheimliche
sechsunddreißigsten Jahrhunderts ohne Schwierigkeit im Handumdrehen reaktiviert, ausgestattet mit Maschinen, die es zum Zeitpunkt der Stillegung noch überhaupt nicht gab."
Er machte eine kurze Pause und musterte Ironside, als wolle er sich vergewissern, daß der seine Bedenken auch ernst genug nähme.
„Das alles bereitet mir Unbehagen", fuhr er schließlich fort. „Zu spüren, daß hier eine fremde, geheimnisvolle Partei mitspielt, von der wir nicht wissen, was sie eigentlich bezweckt."
Ironside nickte bedächtig.
„Ich verstehe", sagte er. „Mir sind schon manches Mal ähnliche Gedanken gekommen. Aber wer, meinen Sie, könnte diese dritte Gruppe sein?"
Reginald Bull hob die Schultern.
„Ich weiß es nicht. Wenn Sie mich vor zwei Monaten gefragt hätten, ob ich die Bildung einer dritten Partei auf diesem Planeten für möglich hielte, hätte ich Ihnen mit einem überzeugten Nein geantwortet. Ich kann einfach nicht sehen, woher sie kommen soll..."
Die Unterhaltung fand im Freien statt. Reginald Bull war auf dem Weg zu seiner Unterkunft gewesen, als Ironside ihm entgegentrat. Während des Gesprächs waren die beiden Männer langsam weiter in Richtung auf Bulls Baracke geschritten. Die Sonne war längst untergegangen. Die violetten Lichtstreifen der Dämmerung verschwanden hinter dem westlichen Horizont.
Da blieb Reginald Bull plötzlich stehen und sah sich um. Er hatte Schritte gehört. Eine zierliche Gestalt kam mit beachtlichem Tempo durch die Dunkelheit auf ihn zu.
„Sylvia...?" fragte er überrascht.
„Ja, ich bin's!" stieß das Mädchen fast atemlos hervor. „Ich habe Raphael gesehen. Er ging in den Stollen, der zum Zentralrechner führt!"
Reginald Bull überlegte. Der Zentralrechner war für jedermann, die Wartungsroboter ausgenommen, tabu. Mitsamt ihrem Roboterteam war die Maschine autark. Sie bedurfte keiner menschlichen Beihilfe, um ihre Arbeit zu verrichten. Wie jedermann sonst war auch Raphael der Zutritt zum Zentralrechner verboten.
„Ironside...?"
„Ich weiß schon ..."
„Nehmen Sie den zweiten Stollen!" forderte Bull ihn auf.
„Postieren Sie sich einfach in die Nähe des Ausgangs, damit der Kerl uns nicht durch die Lappen geht."
*
Es gab zwei Zugänge zum Zentralrechner, zwei Stollen, die jeweils am Rande des Werftgeländes begannen und schräg hinunter zu dem etwa vierzig Meter tief gelegenen Rundraum führten, in dem der Rechner untergebracht war.
Ein Stolleneingang lag im Osten, der andere im Westen des Geländes.
Reginald Bull und Sylvia drangen durch den östlich gelegenen Eingang vor, denselben, den auch Raphael benützt hatte.
Unterwegs ließ Reginald Bull sich informieren, daß Raphael sich dem Stollen mit mäßig raschem Schritt und scheinbar völlig unbefangen genähert hatte.
„Er sah sich nicht um, kein einziges Mal", beschrieb Sylvia.
„Er ging einfach hinein."
Der Stollen war durch eine einfache, ungesicherte Tür verschlossen. Die Beleuchtung bestand aus schwachen, rot leuchtenden Lampen, die in weiten Abständen voneinander angebracht waren und ein düsteres Licht verbreiteten. Für die optischen Sensoren von Wartungsrobotern mochte es hinreichen, aber Reginald Bull fand es äußerst schwierig, sich in diesem Schlummerlicht zu orientieren.
Am Eingang des Stollens hielt er zunächst an. Er horchte angestrengt, nahm jedoch kein Geräusch wahr außer einem stetigen, leisen Summen, das von der Klimaanlage des Rechners kam. Vorsichtig setzte er sich in Bewegung. Sylvia folgte ihm dichtauf. Sie legten etwa sechshundert Meter zurück und näherten sich der Stelle, an der der Stollen in den Rechnerraum mündete, und noch immer hatten sie kein Anzeichen für Raphaels Anwesenheit gefunden. Es wahr unwahrscheinlich, rechnete Bull sich aus, daß Raphael in der Zeit, die Sylvia gebraucht hatte, um ihn zu benachrichtigen, den Stollen wieder hätte verlassen können. Er mußte sich also noch vor ihm befinden. Voraus aber gab es nur den Rundraum des Zentralrechners und auf der anderen Seite den nach Westen führenden Stollen, an dessen Ausgang Vater Ironside auf der Lauer lag.
Im Innern des Rechnerraums herrschte dieselbe unheimliche Düsterkeit wie draußen im Gang. Die verschiedenen Aggregate des Rechners nahmen annähernd drei Viertel der Rundwand ein.
Ein Teil der verbleibenden Fläche wurde von Externspeichern beansprucht. In der Mitte des Raumes waren etliche Wartungsroboter abgestellt und warteten reglos darauf, daß die Maschine ihre Dienste
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