0749 - Hort der Wölfe
meistenteils überdachten Sidewalks unterwegs. Ein paar schenkten Bane ein grüßendes Nicken, gerade so, als kannten sie ihn oder als sei er ein heimkehrender verlorener Sohn. Die meisten jedoch gönnten ihm nur Blicke, die von misstrauisch bis undeutbar reichten.
Woran er keinen Anstoß nahm. So und ähnlich verhielten sich die Einwohner kleiner Ortschaften nun einmal, wenn ein Fremder kam. Darin glichen sich solche Städtchen überall auf der Welt.
Was ihn allerdings stutzen ließ, war die Tatsache, dass es sich bei den Bürgern von Nameless allem Anschein nach um ein wahrhaft bunt gemischtes Völkchen handelte. Bane sah nicht nur Einheimische, Nachkommen europäischer Vorfahren also, und Abkömmlinge der First Nations, wie man in Kanada die Eingeborenen nannte, sondern auch Zugereiste - ihrem Aussehen nach offenbar von weither Zugereiste.
Was mochte all diese Leute in diese Einöde verschlagen haben?
Und noch etwas fiel ihm auf: Er sah keine wirklich alten Menschen und schon gar keine gebrechlichen, wie man sie für gewöhnlich an der Hauptstraße solcher Örtlein sitzend fand, wo sie darauf warteten, dass etwas passierte, oder wo sie miteinander über vergangene Zeiten plauderten.
Seltsam, fand Bane.
So seltsam wie das Geräusch, das er jetzt vernahm.
Ein Geräusch, das er zwar kannte, das ihm an diesem Ort allerdings so fehl am Platze erschien wie etliche dieser Menschen. Im ersten Moment war er deshalb überzeugt, sich zu irren.
Bane zügelte sein Pferd, das merklich unruhiger wurde wegen des lauter werdenden Geräusches. Und als sich ein zweimaliges Krachen wie von Schüssen hineinmengte, scheute das Tier, und Bane hatte alle Mühe, im Sattel zu bleiben.
Dann sah er, dass er sich nicht geirrt hatte.
Aus einer Seitenstraße schoss knatternd ein Automobil!
Ein Ford Modell T, wie Bane erkannte, eine so genannte ›Tin Lizzy‹. Tipptopp gepflegt und sauber, trotz der schmutzigen Straßen hier, ein wahrer Glanzpunkt inmitten des Einheitsgraus, das charakteristisch schien für Nameless.
Am Steuer saß ein älterer Herr im feinen Zwirn, ein richtiger Großvatertyp. Es fiel nicht schwer, sich vorzustellen, wie er die Kinder, die seinem Auto johlend und lachend hinterher rannten, auf den Knien schaukelte und ihnen Geschichten erzählte und Bonbons zusteckte.
Der Blick des Fahrers streifte Bane, und abermals hatte er den Eindruck, als lese er etwas wie Erkennen darin.
Komisch war das. Verdammt komisch sogar. Aber kein bisschen lustig, sondern - unheimlich.
Bane ließ die ›Blechliesel‹ passieren und sah ihr nach - nicht als Einziger übrigens, denn buchstäblich jedermanns Blicke folgten dem hier noch als utopisch geltenden Gefährt -, wie sie die Main Street hinabfuhr, von der munteren Kinderschar gejagt.
Dabei beugte er sich über den Hals seines Pferdes, das sich während des ganzen Ritts ungewohnt widerspenstig verhalten hatte, und redete ihm beruhigend zu. Dann ließ Bane sein Pferd wieder antraben.
Kurz überlegte er, zuerst einen Arzt aufzusuchen, wenn es hier denn einen gab. Probehalber bewegte er die verletzte Schulter, ließ den Arm im Gelenk kreisen und stellte fest, dass die Wunde schon sehr viel weniger schmerzte als noch am Morgen. Was ihn jedoch keineswegs beruhigte, eher das Gegenteil war der Fall. Er konnte sich zwar eines guten Heilfleisches rühmen, aber dass Verletzungen so schnell heilten, war selbst für ihn unnatürlich.
Deshalb - und weil die entsprechende Lokalität justament in sein Blickfeld rückte - beschloss er, zunächst einmal Quartier im hiesigen Hotel zu beziehen, das es zu seiner Überraschung tatsächlich in diesem gottvergessenen Ort gab. Es war ein doppelstöckiger Bau, dessen Erdgeschoss aus Bruchsteinen gemauert war.
Diesem Umstand verdankte das Etablissement vermutlich seinen Namen, der auf einem Schild über dem Eingang stand: The Stone Tavern. Darunter stand Best Food in Town and Rooms.
Das Obergeschoss, in dem sich wohl auch die Gästezimmer befanden, bestand aus Holz wie die meisten Gebäude des Ortes. Das Dach war mit Schindeln gedeckt, denen Wind und Wetter eine silberne Patina verliehen hatten.
Dort wollte sich Royce Bane einmieten. Dann konnte er in aller Ruhe und vor allem unbeobachtet seine Verletzung inspizieren. Außerdem waren Tavernen, Kneipen, Bars, Saloons und so weiter erfahrungsgemäß die besten Örtlichkeiten, wenn man auf lokale Informationen, Gerüchte und dergleichen aus war.
Er leinte sein Pferd am Geländer des Boardwalks vor
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