0751 - Gespenster der Nacht
über den glatten Boden hinweg, das einmal eine Kiste zusammengehalten hatte.
Kiste oder Sarg? Ich tippte auf Letzteres. Wenn das zutraf, dann hatte der Inhalt den Sarg verlassen. Ein Vampir?
Der Vampir, den ich suchte und der mich hier erwartete? Es gab eigentlich keine andere Möglichkeit, und meine Gedanken wurden durch das Geräusch schleichender und auch leicht dumpf klingender Tritte unterbrochen. Ich schaute nach vorn, denn dort waren die Laute aufgeklungen, konnte aber nicht viel erkennen.
An der Treppe vielleicht?
Ja, da bewegte sich etwas. Es war nur ein Schatten, der mich an einen düsteren Nebel erinnerte. Er durchquerte die Finsternis, kam von oben nach unten und veränderte dabei seine Größe. Er nahm also die Stufen der Treppe.
Ich konnte die unmittelbare Nähe dieser Kiste nicht mehr ertragen und ging dem Schatten entgegen.
Mondlicht, Finsternis draußen im Wald, eine graue Düsternis im Schloss, die deshalb nicht so schwarz war, weil eben etwas vom Schein des Erdtrabanten durch die Fenster sickerte, sorgten für eine beklemmende Atmosphäre, in der sich ein Blutsauger wohl fühlen musste.
Das gab ihm die Kraft, die er brauchte, um über andere Menschen herzufallen.
Ich ließ ihn kommen.
Relativ deutlich sah ich das Ende der Treppe, wo die Breite der Stufen zunahm und die Treppe in einem Bogen auslief. Die letzten beiden Stufen sahen aus, als wären sie vom dunklen Steinboden aufgesaugt worden, und als die Gestalt darüber hinwegschritt, da kam sie mir vor, als hätte sie den Kontakt zum Erdboden verloren.
Wenig später vernahm ich das harte Pochen. Es erklang bei jedem Schritt, denn sie trat stets mit den Hacken auf. Ein bewusstes Sich-zur-Schau-Stellen, der andere wusste sehr gut, dass er hier der Herr war.
Ich erwartete ihn. Ziemlich locker stand ich da, allerdings etwas breitbeinig, die Arme leicht vom Körper gespreizt. Ich war bereit, auf jeden Angriff zu reagieren, und hielt meinen Blick direkt nach vorn gerichtet, wo allmählich die Umrisse an Festigkeit zunahmen und sich auch ein bleiches Etwas aus dem Dunkel hervorschälte: das Gesicht.
Ein Gesicht, das ich kannte. Hart, männlich, etwas schattig mit einer hohen Stirn und den dunklen Augen darunter.
Das war der Mann von dem Bild. Endlich standen wir uns gegenüber. Wenn ich ehrlich war, so fühlte ich mich sogar erleichtert.
Er ging noch weiter vor, bis wir uns beide erkennen konnten. Er trug dieselbe Kleidung wie auf dem Gemälde, den langen, dunklen Mantel und den ebenfalls dunklen Anzug darunter.
Ich sprach nicht, das überließ ich ihm.
»Willkommen in meinem Reich, Herr Sinclair. Ich heiße Victor Maitland.«
»Angenehm, meinen Namen kennen Sie ja. Um gleich zur Sache zu kommen, was soll das alles bedeuten?«
»Das will ich Ihnen gern verraten. Ich bin Ihr Henker, Ihr Tod, Geisterjäger…«
***
Harry Stahl blieb sofort stehen, als er das Geräusch in seiner unmittelbaren Nähe hörte. Er dachte sofort an eine Gefahr und lächelte erleichtert, als er den Schatten erkannte. Es war nur ein Tier, wahrscheinlich ein Eichhörnchen.
»Mist«, flüsterte er, »du bist viel zu nervös.« Er presste seine Hand dorthin, wo das Herz sehr schnell schlug. Vor Aufregung zuckten Stiche durch seinen Kopf.
Der Kommissar ließ sich Zeit. Er musste die Ruhe finden. John Sinclair befand sich längst im Schloss. Es hatte für ihn überhaupt keine Schwierigkeiten gegeben, es zu betreten. Harry Stahl hatte es vorgezogen, in die Nähe des Dickichts an der Westseite des Schlosses zu gelangen, wo ihn der schwache Wind streichelte und sein Gesicht kühlte.
Er dachte an das, was mit dem Geisterjäger besprochen worden war. Einen zweiten Eingang sollte er finden. Vielleicht eine schmale Tür oder eine Treppe. Möglicherweise auch einen Zugang, der sich außerhalb des Schlosses verbarg und durch Gestrüpp oder eine Luke abgedeckt war.
Bisher hatte er nichts gesehen, was ihn nicht weiter störte, da er erst mit seiner Suche begonnen hatte. So leise wie möglich schob sich der Kommissar weiter.
Er stellte fest, dass es doch nicht so ruhig war, wie er angenommen hatte. Auf irgendeine Art und Weise lebte der Wald schon. Besonders das niedrig wachsende Gestrüpp eignete sich hervorragend für gewisse Verstecke. Es hätte auch einem Vampir die nötige Deckung geben können. Ein derartiges Wesen ließ sich nicht blicken.
Da sich der Kommissar dicht an der Außenwand aufhielt, fiel ihm auch der Geruch auf. Es war ein bestimmter Gestank, der von
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