0752 - Lauras Leichenhemd
Schulgebäude.
»Wahrscheinlich hast du sogar recht. Aber wie reagiert oder gibt sich so ein junges Mädchen, das innerhalb weniger Tage drei Tote in der Familie zu beklagen hat?«
»Schwer zu sagen. Ich weiß es nicht. Ich bin damit zum ersten mal konfrontiert worden.«
»Ich auch, aber ich habe das Gefühl, dass mehr hinter diesen Sterbefällen steckt.«
»Mit denen du Laura in Verbindung bringst.«
»So ist es.«
»Den Beweis haben wir auch jetzt nicht bekommen, doch ich gebe zu, dass sie mir auch aufgefallen ist.«
»Wie denn?«
»Es war ihr Blick, es war ihr Lächeln. Da hast du recht. Beides passte auch meiner Ansicht nach nicht zu einer Person, die viel verloren hat. Ich entdeckte keine Trauer.« Bill deutete ein Klatschen an.
»Bravo.«
»Das aber keinesfalls bedeuten muss, dass ich Laura Saracelli unbedingt verdächtige.«
»Ich ja auch nicht. Es war nur ein Gefühl.« Er lachte und drehte sich ab. »Soll ich dir mal ehrlich etwas sagen, John? Ich komme mir bereits leicht blöd vor.«
»Und weiter?«
»Nichts mehr weiter. Wir setzen uns jetzt in den Wagen, ich fahre dich zurück zum Yard.«
»Womit der Fall für dich natürlich nicht ausgestanden ist, wie ich meine.«
»Woher weißt du das?«
»Ich kenne dich doch.«
Bill Conolly trat dicht an mich heran. »Was ich dir jetzt sage, klingt zwar schlimm und beinahe schon pervers, aber ich habe das Gefühl, dass die Reihe der Sterbefälle noch nicht beendet ist. Da passiert noch etwas, John, glaube es mir.«
Ich bekam schon einen leichten Schauder. »Meinst du damit, dass die gesamte Familie Saracelli sterben wird?«
»Ja – vielleicht…«
Ich drehte mich ab, schüttelte den Kopf und öffnete die Beifahrertür. Auf der oberen Kante stützte ich mich ab. »Das sind verdammt harte Sätze, Bill.«
»Stimmt.« Er hob den Zeigefinger wie ein strenger Lehrer. Vielleicht lag es an der Nähe der Schule. »Irgend etwas steht uns noch bevor. Ich spüre es.«
»Was soll ich tun?«
Er winkte ab. »Ich weiß, wohin du mit deiner Frage zielst. Du kannst die Familie nicht Tag und Nacht bewachen lassen. Dafür gibt es offiziell keinen Grund. Wir wollen nur hoffen, dass es nicht irgendwann mal zu spät ist.« Er stieg ein, und auch ich klemmte mich wieder in den von der Sonne aufgeheizten Wagen.
Bill startete.
Ich war sehr schweigsam, und auch mein Freund sprach auf der Fahrt kein Wort.
Wir gaben es uns gegenüber nicht zu, aber das bedrückende Gefühl ließ sich einfach nicht vertreiben…
***
Ihr Zimmer war klein, es war viel zu warm, und Laura war froh, dass ihre Schwester, mit der sie den Raum normalerweise teilte, nicht da war und irgendwo draußen spielte.
Sie lebte in einem Totenhaus.
Eine unnatürliche Ruhe hatte sich ausgebreitet. Jeder ging nur auf Zehenspitzen, als hätte er Angst, die Ruhe der kürzlich Verstorbenen zu stören.
Hin und wieder weinte jemand. Wenigstens hatte das laute Schreien aufgehört, das immer dann eintrat, wenn sich jemand aus der Familie an die Schrecken erinnerte.
Drei Tote.
Sie lächelte versonnen vor sich hin. Es würden noch mehr werden, das stand fest.
Sie wusste nur noch nicht, wen es treffen würde, aber sie war bereit. In der folgenden Nacht sollte es geschehen.
Dabei konnte sie zwischen ihren Eltern, den Geschwistern, aber auch Fremden auswählen. Mit dem letzten Gedanken hatte sie sich noch nicht so richtig beschäftigt. Es würde aber nicht schlecht sein, wenn sie eine andere Spur legte.
Bisher war die Polizei noch nicht aufmerksam geworden. Die Menschen waren allesamt auf eine natürliche Ursache ums Leben gekommen. Und auch die vierte Person würde es so treffen, das stand für sie fest. Dann allerdings musste sie ihr Wirkungsfeld verändern, und sie dachte darüber nach, in welche Richtung es führen konnte.
Trotz der geringen Größe beherbergte das Zimmer zwei schmale Schreibtische. Sie standen sich unter dem Fenster gegenüber. Der leere gehörte ihrer Schwester Sandra. Die Zwölfjährige hatte die Fläche mit zahlreichen bunten Aufklebern dekoriert, und es waren auch, bis auf wenige Ausnahmen, ihre Poster, die an den Wänden hingen. Zwei schmale Betten hatten ebenfalls noch ihre Plätze gefunden und auch ein heller Schrank, in dem beide Mädchen ihre Sachen aufbewahrten.
Nur Lauras Kleid nicht…
Das hielt sie versteckt.
Wohin sollte sie ausweichen, wenn sie beim Tragen des Kleides abermals einen Befehl bekam?
Sie dachte darüber nach. Die letzten Stunden ließ sie noch einmal Revue
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