0752 - Lauras Leichenhemd
durch das Fenster gegen den blaugrauen Nachthimmel zu schauen.
Beim Hinausgehen blickte ich auf die Uhr.
Noch eine knappe halbe Stunde bis zur Tageswende. Ich fühlte mich fit, der Schlaf hatte mir doch geholfen, und ich würde mich auf die Lauer legen. Die Adresse wusste ich. Die Saracellis wohnten in einem alten Haus, das sie gekauft hatten. Bisher waren alle Todesfälle in der Nacht passiert. Das hatte ich von Bill erfahren. Möglicherweise ereignete sich in dieser Nacht ähnliches, obwohl ich es im Interesse der Menschen nicht hoffte.
Um diese Zeit ließ es sich leichter durch London fahren. Sie war zu einer Stadt der Schatten und Lichter geworden, die sich auf kurzen Strecken rasch abwechselten. Ich hatte das Fenster nach unten gekurbelt. Frischere Luft drang in den Rover.
Auf meinen Handgelenken lag eine Gänsehaut. Die gleiche spürte ich auch im Nacken.
Ich erreichte das Ziel kurz nach Mitternacht. Das Haus lag im Dunkeln. Nur hinter einem Fenster in der ersten Etage brannte Licht. Durch einen Vorhang war es kaum zu sehen.
Es gelang mir, einen günstigen Parkplatz zu finden, von dem aus ich die Fassade im Auge behalten konnte.
Hinter dem Lenkrad machte ich mich klein und wartete…
***
Sandra Saracelli schlief. Lange Zeit hatte sie wach gelegen, eigentlich zu lange nach Lauras Geschmack. Sie hatte noch erzählen wollen und schließlich gefragt, ob die Toten auch alle im Himmel wären und jetzt den lieben Gott endlich sehen konnten.
Laura hatte der kleineren Schwester recht gegeben, die für ihre zwölf Jahre doch ziemlich naiv war, wie sie fand. Aber das würde sich sicherlich ändern.
Nachdem Sandra eingeschlafen war, wartete Laura noch. Sie ließ eine gute Viertelstunde verstreichen, bevor sie die Decke zurücklegte und sich aus dem Bett schlängelte.
Manchmal hatte ihre Schwester einen leichten Schlaf. Das war besonders in den letzten Nächten so gewesen. In dieser Nacht aber waren ihre Atemzüge tief und fest, was Laura natürlich beruhigte. Sie schlüpfte in ihre weichen Pantoffeln, mit denen sie beinahe lautlos gehen konnte, und streifte das Nachthemd ab. Sie hatte es vor Sandras Augen als Alibi übergezogen. Darunter trug sie eine schwarze Leggings und ein ebenfalls schwarzes T-Shirt.
Jetzt war alles klar.
Auf Zehenspitzen glitt sie der Tür entgegen. Gerade als sie öffnete, hörte sie Sandras Stimme, blieb stehen und wartete in einer fieberhaften Anspannung.
Es passierte nichts mehr. Die jüngere Schwester hatte nur im Schlaf geredet.
Laura Saracelli verließ das Mädchenzimmer und zog die Tür sacht hinter sich zu. Sie musste auch weiterhin sehr aufpassen, denn alle Personen hatten nach den schrecklichen Ereignissen einen schlechten Schlaf. Hin und wieder schreckte auch ihre Mutter mit einem lauten Schrei aus dem Schlummer, weil sie von schlimmen Träumen verfolgt wurde.
In dieser Nacht war noch nichts passiert, und über Lauras Lippen huschte ein Lächeln.
Der Flur in der oberen Etage war mit geheimnisvollen Schatten erfüllt. Sie bildeten eine unterschiedliche Dichte. An manchen Stellen sahen sie aus wie dicker Schlamm, an anderen wiederum wirkten sie seicht und durchlässig, besonders dort, wo sich die Fenster befanden und die nächtliche Dunkelheit hineinsickerte.
Laura ging auf die Treppe zu. Sehr schwach zeichnete sich das Gebilde ab. Licht brauchte der Teenager nicht. Laura kannte sich sehr gut aus. Sie wusste, wie sie ihre Schritte setzen musste, ohne über ein Hindernis zu stolpern.
Ihre Hand legte sie auf das Geländer. Sollte sie doch einen falschen Tritt versuchen, konnte sie sich abstützen und würde nicht fallen.
Alles war, genau geplant und berechnet, selbst das Hochschreiten der Treppe, denn sie wusste genau, wo sie ihre Füße aufsetzen musste, um möglichst ein zu starkes Knarren zu vermeiden.
Ihr Ziel war der Speicher.
Es dauerte nicht lange, bis sie vor sich den Umriss der Tür sah.
Dunkel, abstoßend, für sie jedoch der Zugang zum Paradies des Bösen.
Die Tür würde beim öffnen leise knarren. Das musste sie leider in Kauf nehmen.
Laura ließ sich auch keine Zeit mehr. Sie öffnete – und huschte in die wattige Schwärze auf dem Speicher, wo die Sonne tagsüber den Raum aufgeheizt hatte.
Die Luft war dick wie Schmier. Laura konnte kaum atmen. Sofort breitete sich in ihrem Mund ein schaler Geschmack aus. Es roch muffig. Der Schweiß stand ihr längst wie ein dünner Film aus Fett auf der Stirn und bedeckte auch den übrigen Teil des Gesichts.
Sie
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