0752 - Lauras Leichenhemd
hatte es geschafft.
In der Dunkelheit bewegte sie sich sicher wie eine Katze auf ihr Ziel zu.
Es war die Truhe!
Breit, kantig, alt und staub bedeckt stand sie in einer Ecke des Speichers, als wäre sie dort vergessen worden. Irgendwo stimmte das auch. Man hatte sie bewusst vergessen, obwohl immer ein Mitglied der Familie Bescheid gewusst haben musste, um das Wissen um die Truhe und deren Inhalt an eine Vertrauensperson weiterzugeben. Laura nahm an, dass es in diesem Fall ihr Vater hätte sein sollen, aber noch war er über den Inhalt der Truhe nicht informiert gewesen, das hätte sie bestimmt irgendwie mitbekommen, und darüber war sie froh.
Die aufgeheizte Luft schlug ihr auf den Magen. Laura hatte sich inzwischen zwei Kerzen geholt, die in eisernen Ständern steckten.
Neben der Truhe standen sie.
Laura stellte die Ständer ein Stück entfernt auf, holte ein flaches Feuerzeug hervor und hielt dessen Flamme gegen die beiden Dochte. Sie schnappten gierig nach der Nahrung und bildeten eine Ovale aus rotem und gelbem Licht.
An der Decke zeichneten sich die schwachen Kreise ab. Staub tanzte im Schein der Flammen. Wenn sich Laura in deren Nähe bewegte, fingen sie an zu flackern und veränderten das Innere des Speichers. Licht und Schatten wechselten sich in einem bestimmten Tanz ab. Sie zuckten über den Boden, die Wände und tanzten auch an der Decke entlang.
Laura ging zu einem der schrägen Fenster. Sie musste einen Hebel umfassen, um es in die Höhe zu drücken. An dieser altmodischen Vorrichtung war nichts verändert worden.
Sie stellte das Fenster schräg und freute sich über den kühleren Luftzug, der ihr Gesicht erreichte. Für sie glich das Anlegen des Kleides einem Ritual. Hinzu kam das geheimnisvolle Licht der Kerzen, die Stimme, die Schatten. Das alles glich einer gewissen Komposition, in die sich Laura voll und ganz einfügte.
Erst jetzt näherte sie sich dem eigentlichen Ziel, der Truhe. Sie blieb vor ihr stehen. Soviel sie erkennen konnte, hatte sich in der Zwischenzeit niemand an der Truhe zu schaffen gemacht. Der Deckel war auch nicht festgeklemmt worden. Er lag nur schwer auf dem Unterteil, und Laura musste schon etwas Kraft aufwenden, um ihn überhaupt in die Höhe heben zu können.
Sie sorgte für so wenige Geräusche wie möglich. Zwar knarrte das Holz der Truhe, zwar hörte sie quietschende Geräusche in Höhe der Angeln, die die beiden Hälften zusammenhielten, aber sie waren nicht so laut, dass sie Laura hätten verraten können.
Sie schaute hinein.
Das Licht der Kerzen erreichte das Ziel nur schwach. Was in der Truhe verborgen lag, war nicht genau zu erkennen. Mit beiden Händen tauchte Laura hinein. Sie holte einige Kleidungsstücke hervor, räumte andere zur Seite, und über ihr Gesicht huschte ein Lächeln, als sie es endlich geschafft hatte und das Kleid zwischen ihren Fingern spürte.
Endlich!
Sie zog es hervor…
Dabei bewegte sie sich behutsam. Sie wollte nichts überstürzen, denn sie konnte das ponchoartige Hemd noch lange genug tragen.
Einige Schritte trat sie zur Seite. Das Kerzenlicht erreichte sie jetzt besser und gab ihr ein leicht dämonisches Aussehen, denn Teile ihres Körpers verschwanden in dunklen Schatten.
Laura presste das Hemd an sich. Sie verbarg darin ihr Gesicht, sie roch am Stoff, denn dieses Kleid konnte sie tatsächlich mit einer Droge vergleichen.
Langsam ließ sie die Arme sinken. Tief atmete sie aus. Ihre Augen glänzten, die Lippen waren zu einem Lächeln verzogen. Mit einer tänzerisch anmutenden Drehung entfernte sie sich aus der Dunkelheit und geriet in das Kerzenlicht.
Dort blieb sie stehen.
Das Kleid oder das Hemd hielt sie mit beiden Händen fest. Im nächsten Augenblick streifte sie es über.
Auch das wirkte mittlerweile wie einstudiert. Es sah so aus, als hätte sich das Hemd seiner Trägerin angepasst und würde auf ihre Wünsche eingehen.
Geschafft!
Laura Saracelli blieb stehen und schloss die Augen. Sie genoss das Gefühl, umgezogen zu sein, und sie spürte bereits jetzt den neuen Strom der Kraft, der ihren Körper durchrieselte. Es tat ihr gut, es war einfach wunderbar, sich den anderen Dingen hingeben zu können. Schon jetzt hatte sie den Eindruck, weg zufließen und nicht mehr die Person zu sein, die sie zuvor gewesen war.
Sie war stark, sie war mächtig, und sie konnte sich auf einen noch mächtigeren und stärkeren Partner verlassen.
Das Kleid hatte ihr ein ganz anderes Gefühl gegeben. Sie wirkte auch nicht mehr wie eine
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