0752 - Lauras Leichenhemd
wo doch in meiner Familie soviel Schreckliches passiert ist. Oder meinst du nicht?«
Johnny blieb neben der Bank stehen, schüttelte den Kopf und flüsterte: »Hör auf, so zu reden.«
»Warum?«
»Schon gut«
Er setzte sich neben sie, nicht entspannt, sondern eher steif und abwartend, als wäre ihm Lauras Nähe unangenehm. Sie aber lächelte, hatte die Beine ausgestreckt und die Arme ausgebreitet. Sie lagen auf der Lehne der Bank. »Hier ist es echt toll. Total still…«
»Wolltest du mir nicht Mathe zeigen?«
Laura drehte den Kopf nach links. Ihre Augen funkelten und zeigten zugleich einen verhangenen Blick. »Alles zu seiner Zeit, Johnny.«
»Es war eine halbe Stunde…«
»Ja, ich weiß.« Laura strich über seinen Oberschenkel. »Wir kriegen das schon in die Reihe. Oder wirst du von deinen Eltern so stark unterdrückt?«
»Das hat damit nichts zu tun. Ich muss selbst noch meine Aufgaben machen. Und ich will nicht zu lange…«
»Okay, Johnny, ist ja schon gut.« Sie streckte den rechten Arm aus und hob die Tasche an. Schwungvoll stellte Laura sie auf ihre Oberschenkel.
»Fangen wir an!«
»Klar, Johnny, klar.« Sie zog den Reißverschluss auf. Dabei lächelte sie versonnen.
Als sie die beiden Hälften zur Seite klappte, konnte Johnny einen Blick in die Tasche werfen.
Er sah keine Bücher oder Hefte.
Dafür entdeckte er Kleidungsstücke, und eines davon holte das Mädchen auch hervor.
»Was soll das denn?« fragte Johnny. Er schüttelte den Kopf. »Ich dachte, du hättest Bücher…«
»Sei doch nicht so voreilig. Es wird alles noch geregelt. Zuerst will ich dir etwas zeigen!«
»Das etwa?« Johnny deutete auf das rötliche Hemd, das Laura aus der Tasche zog.
»Ja, genau.«
»Was willst du damit?«
»Es dir zeigen!«
»Wie bitte?«
Laura lachte. »Ja, ich will wissen, Johnny, was du davon hältst. Ich habe es mir besorgt. Ich finde es total gut, aber meine Mutter nicht. Sie meint, der Fetzen steht min nicht, und dann wollte ich mir noch eine zweite neutrale Meinung holen. Geht das okay?«
»Und von der Zeit ab.«
»Hör auf, das packen wir schon.« Laura stellte die Tasche wieder weg und stand schwungvoll auf, wobei sie das Hemd nicht losließ.
Sie hielt es ausgebreitet vor ihrem Körper und schaute mit dem Kopf darüber hinweg und auf Johnny.
»Was sagst du?«
»Muss ich das?«
»Ja, findest du es gut?«
Der Junge war damit überfragt. Über derartige Dinge hatte er sich noch keine Gedanken gemacht. Okay, er hatte seinen eigenen Geschmack, was die persönliche Kleidung anging, und das wurde von seinen Eltern auch akzeptiert, aber bei Mädchen war er doch ein wenig unsicher, obwohl sich seine Mutter Sheila gern mit Mode beschäftigte.
»He, ich warte.«
Er hob die Schultern. »Nun ja, was soll ich sagen? Ist nicht schlecht. Sogar ziemlich originell. Das unterschiedliche Rot, dann die dunkleren Streifen dazwischen…«
»Es ist super, Johnny!«
»Wenn du das sagst.«
Laura Saracelli verzog den Mund. »Du hast mich nicht richtig verstanden oder verstehen wollen. Dieses Kleid, dieses Hemd oder was immer es auch sein mag, ist einfach eine Schau für sich. Es ist Wahnsinn, verstehst du?«
»Nein.«
»Soll ich dir sagen, Johnny, woher ich es habe?«
»Wenn du willst.«
»Ich habe es bei uns auf dem Speicher in einer alten Truhe gefunden. Es ist irre, sage ich dir. Es ist einfach super, und es ist etwas Besonderes, denn es befindet sich schon seit sehr langer Zeit in unserem Familienbesitz.«
»Ein Erbstück.«
»Ja«, flüsterte sie.
»Was ist daran denn so besonders?« wollte Johnny wissen. »Ich meine, es sieht ein wenig fremd aus. Ich würde es mehr als einen Poncho oder als ein Hemd ansehen.«
»Hemd ist gut«, sagte sie schnell. »Hemd ist sogar sehr gut. Ich will dich noch verbessern. Es ist ein Leichenhemd!«
Johnny schwieg. Er war im ersten Augenblick einfach zu perplex, um etwas sagen zu können. Schlagartig verlor er die Gesichtsfarbe.
Der Begriff Leichenhemd jagte durch seinen Kopf, und plötzlich verdichteten sich seine Gedanken. Er fing an zu überlegen, er dachte an das schwere Schicksal der Familie Saracelli und brachte dies in einen Zusammenhang mit dem Kleidungsstück, dem Leichenhemd.
Sollte da ein Rad ins andere greifen?
Er fühlte sich nicht mehr gut. Der Begriff Leichenhemd hatte ihn erschüttert, und als er Laura lächeln sah, da wusste er, dass sie ihn nicht abgefangen hatte, um mit ihm Mathe zu machen.
Kälte durchströmte ihn…
»Bist du jetzt
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