0756 - Tod über der Tunguska
sein. Hingegen gibt es radioaktive Strahlung in dem Gebiet, glaube ich. Selbst heute noch.«
Boris Iljitsch Saranow nickte.
»Und dann haben wir natürlich die UFO-Fans, die an den Absturz eines Raumschiffs glauben. Doch man hat nie Trümmer gefunden. Und das, obwohl man an der Steinigen Tunguska nicht so sehr vor Souvenirjägern Angst haben muss. Was immer da vom Himmel gefallen ist, die Menschheit kann von Glück sagen, dass es über der Steinigen Tunguska runterkam. Sicher, dort sind auch Menschen getötet worden. Aber die Region ist extrem dünn besiedelt, damals wie heute. Wenn das Objekt nur sechs bis acht Stunden früher runtergekommen wäre, hätte es St. Petersburg oder Stockholm treffen können. Oder es wäre in die Ostsee gestürzt. Bei der Springflut, die dann entstanden wäre, hätte halb Deutschland verwüstet werden können.«
Für einen Moment herrschte wieder Schweigen in dem Salon.
»Und doch glaube ich, dass es Menschen gibt, denen die Wahrheit über die Tunguska-Katastrophe bekannt ist.«
»Und an wen hast du dabei gedacht, Boris?«
»An dich, Zamorra. Und auch an dich, Nicole.«
»Aber wir wissen nur das, was wir gerade erzählt haben«, protestierte der Dämonenjäger. »Wir sind Kollegen und Freunde, Boris! Warum sollte ich dich belügen?«
Saranow hob abwehrend die Hände. »Das habe ich nie behauptet! Ich glaube vielmehr, dass eure Zeitreise ins Jahr 1908 noch stattfinden wird. Daher könnt ihr noch gar nichts davon wissen. Tatsache ist jedenfalls, dass du, Zamorra, auf jeden Fall im Jahre 1908 in der sibirischen Tunguska-Region gewesen bist.«
»Woher weißt du das, Boris?«
»Aus einem Vernehmungsprotokoll der Ochrana. Das war der damalige Geheimdienst des Zaren. Ich bin durch Zufall darauf gestoßen.«
»Jedenfalls sitzt der Chef munter bei uns und trinkt Tee. Also soll ihm wohl nichts geschehen sein, jedenfalls nicht auf unserem Zeitstrang.«
Nicole wusste natürlich, dass es unendlich viele Wirklichkeiten und Welten parallel zueinander gab. Das war ein natürliches Phänomen der kosmischen Harmonie. Kriminell wurde es erst, wenn Personen zwischen diesen Sphären hin und her springen konnten. So, wie es bei der Spiegelwelt möglich war.
»Vielleicht gibt es ja eine Realität, in der die Tunguska-Katastrophe unsere ganze Zivilisation vernichtet hat«, murmelte Saranow.
»Ist so etwas denn möglich?« Foolys Augen wurden noch größer.
»Aber ja. Nehmen wir an, ein Himmelskörper von zwei bis zehn Kilometern Durchmesser würde die Erde rammen. Zehn Kilometer, das sind nicht viel, sollte man meinen. Aber es waren wohl solche Kollisionen, durch die zum Beispiel im Kreide-Tertiär-Zeitalter alle Saurier auf einen Schlag vernichtet wurden. Teile der Erdoberfläche wurden herausgesprengt und in den Weltraum geschleudert, von wo aus sie zurückregneten. Es kommt zu Erdbeben und Vulkanausbrüchen. Giftiger Regen fällt, und durch die Klimaveränderungen wird ein globaler Winter eingeleitet.«
»So weit ist es 1908 aber nicht gekommen«, sagte Zamorra.
»Wer weiß?«, fragte Saranow listig. »Irgendjemand muss dafür gesorgt haben, dass dieses Objekt eben nicht die Erde gerammt hat, sondern in der Luft explodiert ist. Die Folgen waren auch so schlimm genug. Aber wenn der Himmelskörper unseren Planeten getroffen hätte, wäre das wahrscheinlich das Ende der Menschheit geworden.«
Im selben Moment wurde Zamorra klar, was sein russischer Freund und Kollege meinte.
Er, Zamorra, war zweifellos ins Jahr 1908 zurückgereist, und zwar in die Tunguska-Region. Doch ob er Anteil an der rechtzeitigen Zerstörung des Objektes hatte, wusste Zamorra nicht. Natürlich nicht, denn diese Ereignisse lagen ja auf seinem persönlichen Zeitstrang noch vor ihm…
Der Dämonenjäger zeigte auf die abgeschabte Aktentasche, die neben Saranow auf dem Sofa lag.
»Ich nehme an, du hast uns Informationen mitgebracht, damit wir im Russland des Jahres 1908 besser zurechtkommen?«
Der russische Parapsychologe grinste. »Mehr noch als das, Brüderchen Zamorra!« Er öffnete die Tasche. »Ich habe hier zwei Fremdenpässe, ausgestellt von der Botschaft Seiner Majestät des russischen Zaren in Paris. Die Pässe sind sogar echt, nur eben fast hundert Jahre alt!«
»Dafür sehen sie aber noch gut aus«, meinte Nicole achselzuckend. »Dann werden wir wohl umgehend reisen…«
Mit dieser Vermutung lag Nicole richtig. Sie kannte eben Zamorra besser als jeder andere Mensch auf der Welt.
***
Straflager 252, Region
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