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0756 - Tod über der Tunguska

0756 - Tod über der Tunguska

Titel: 0756 - Tod über der Tunguska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Clement
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erlitten, wenn auch nur ein Spritzer Straßenschlamm auf den Brüsseler Spitzen ihrer zahlreichen Unterröcke landete! Verzärtelte Weiber, so nutzlos wie die exotischen Singvögel, die von ihnen in vergoldeten Käfigen gehalten wurden.
    Lena wusste genau, woran sie dachte. Schließlich war sie vor wenigen Jahren noch selbst genau so eine St. Petersburger Gesellschaftsdame gewesen…
    Die Zobeljägerin hatte einen Abhang erreicht. Hier senkte sich der Bergrücken zu einem kleinen Talkessel, in dem durch Blitzeinschlag einiges an Flurschaden entstanden war. Tote Bäume reckten ihre unheimlichen Äste in den Himmel, und das Unterholz war verbrannt.
    Die seltsamen Geräusche kamen aus diesem Talkessel. Und sie wurden durch einen tungusischen Stammes-Schamanen hervorgebracht!
    Neugierig schaute Lena genauer hin. Das Leben in der Wildnis hatte ihren Blick geschärft. So konnte sie ziemlich gut erkennen, was dort unten vor sich ging.
    Der Zauberer hatte von einigen der noch lebenden sibirischen Lärchen die Rinde geschält und malte nun mit farbiger Kreide seltsame Symbole auf das blanke Holz. Diese Handlung wurde untermalt von einem leisen Singsang in einer ihr unbekannten Sprache. Dieses Geräusch war es, welches Lena zuerst gehört hatte.
    Mitten auf der Lichtung setzte der Schamane nun ein kleines Feuer in Gang und warf anschließend verschiedenfarbigen Staub in die hochzüngelnden Flammen.
    Über dem Feuer waren nun die Umrisse schemenhafter Gestalten zu erkennen. Geister? Gestalten aus dem Khergu, wie die Tungusen ihre Unterwelt nannten?
    Die Zobeljägerin wusste es nicht. Sie hatte momentan andere Sorgen. Denn der Qualm des Lagerfeuers zog zu ihr herüber. Und obwohl sie mit übermenschlicher Anstrengung versuchte, sich zu beherrschen, entwich ihr doch ein Nieser.
    Der Schamane richtete sich langsam auf und wandte sich in ihre Richtung. Fordernd streckte er ihr den rechten Arm entgegen.
    Lena bildete sich ein, über eine starke Willenskraft zu verfügen. Sonst hätte sie es wohl auch nicht geschafft, ihrem despotischen Ehemann zu entfliehen und hier am Ende der Welt ein selbst bestimmtes Leben zu führen.
    Aber dem Zauber des alten Tungusen hatte sie nichts entgegenzusetzen. Gehorsam wie ein Kind erhob sich Lena aus ihrem Versteck. Ihre rechte Hand schloss sich fest um ihr Gewehr-, während sie in das Tal hinabstieg.
    Der Schamane erwartete sie. Er hielt immer noch seinen Arm ausgestreckt. Der Alte war in einen Fellmantel mit Eisenbeschlägen gekleidet. Mongolische Stiefel mit nach oben gebogenen Spitzen schauten darunter hervor. Sein Schädel war kahl rasiert.
    »Frau in Männerkleidern«, sagte der Schamane auf Russisch zu Lena, als sie bei ihm angekommen war. »Was fällt dir ein, mich bei heiligen Handlungen zu beobachten?«
    Lena stellte ihr Gewehr gegen einen Baum und faltete die Hände vor der Brust. Sie wusste, dass man sich mit den Schamanen gut stellen musste, wenn man hier draußen zwischen der chinesischen Grenze und dem Baikalsee zurechtkommen wollte.
    Und deshalb regte sie sich auch nicht darüber auf, dass der Schamane sie nur Frau in Männerkleidern nannte. Es war bei den Tungusen üblich, einander Spitznamen zu geben. Außerdem stimmte die Bezeichnung sogar. Lena trug wirklich den traditionellen dunklen Männer-Wollmantel, der bis an die Knie reichte, und hatte sich quer über die Brust einen Patronengurt gehängt. Ihr langes dunkles Haar war zu einem Zopf geflochten, der über den Rücken fiel. Auf dem Kopf trug sie eine Fellmütze.
    Der Schamane bohrte seinen unheimlichen Blick in Lenas grüne Augen.
    »Es war nicht meine Absicht, großer Zauberer. Aber ich habe fremdartige Geräusche gehört, und da…«
    »Was für Geräusche?«, fiel ihr der Schamane ins Wort. Bildete die Zobeljägerin sich das nur ein, oder wurde der Stammeszauberer plötzlich von Furcht erfasst?
    Lena zuckte mit den Schultern.
    »Nun, die Geräusche deines Gesangs, nehme ich an. Die Melodie, wollte ich sagen. Ich bin dann den Geräuschen gefolgt und habe dich hier auf der Lichtung gesehen. Ich wollte wirklich nicht dein Ritual stören, o Thaagu. So heißt du doch, nicht wahr?«
    »Ja, das ist mein Name. Ich vergebe dir, denn du konntest nicht wissen, worum es geht.« Eine kurze Pause entstand. Vermutlich überlegte Thaagu, wie viel er der Zobeljägerin erzählen sollte. »Uns droht eine gfoße Gefahr, Frau in Männerkleidern. Eine Gefahr, die es bisher noch nicht gegeben hat.«
    »Greifen die Japaner wieder an?«, fragte

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