0759 - Werwolf-Wahnsinn
mal jemand gesagt hat.«
»Gibt's den noch?«
»In der offiziellen Politik nicht mehr«, sagte Golenkow und nickte seinem Freund zu. »So, jetzt habe ich Hunger. Außerdem wird John Sinclair heute nachmittag erscheinen, und ihn wollen wir doch nicht im Stich lassen.«
»Bestimmt nicht.«
Blochin gab den Weg zur Tür frei. Er wollte Wladimir vorgehen lassen. Der bewegte sich auf die Treppe zu. Er mußte sich ducken, denn die Decke war zu niedrig.
Kurz vor dem Erreichen der ersten Stufe stieß er trotzdem mit dem Schädel dagegen. So hart, daß vor seinen Augen Sterne aufblitzten. Das kann doch nicht sein, dachte er, stöhnte und schaffte es, sich auf der Stelle zu drehen. Ich habe mich nicht gestoßen, ich bin auch jetzt gebückt gegangen…
Er sah seinen Freund.
Oleg stand vor ihm. Seine Gestalt wirkte verzerrt und schien aus Gummi zu bestehen. Er hörte ihn sprechen, etwas wie eine Entschuldigung oder so ähnlich.
Dann raste ein dunkler Gegenstand auf ihn zu.
Ein Knüppel, dachte Wladimir Golenkow noch. Sofort danach konnte er nicht mehr denken, denn für ihn gingen die Lichter aus. Vor der Treppe sackte er bewußtlos zusammen.
Oleg Blochin nickte zufrieden. Mit leiser Stimme sagte er: »Das war die Nummer eins…«
***
Ein Dorf im westlichen Rußland, wie ich es bisher nur aus den Fernsehberichten kannte. Da hatte es idyllisch ausgesehen, das mochte auch jetzt so sein, aber hier konnte ich nicht objektiv sein, hier war ich das Subjekt, das durch eine fremde Welt schritt.
Man hätte es als idyllisch ansehen können, wäre mir nicht die unübersehbare Armut aufgefallen, die sich überall präsentierte. Es lag an den Häusern, deren Dächer oft schadhaft waren, weil eben das Geld fehlte. Die Menschen hatten sich so gut wie möglich geholfen, aber viel konnte dabei nicht herauskommen.
Platz gab es genug. Das Dorf war großzügig angelegt worden, es gab für die Häuser genügend Platz.
Zu jedem gehörte ein Garten. Oft waren die einzelnen Grundstücke durch Staketenzäune eingefriedet, aber auch sie zeigten einen bestimmten Verfall. An zahlreichen Stellen waren sie eingeknickt, standen schief oder waren ganz zusammengebrochen. Auf den Beeten wurde für den eigenen Gebrauch angebaut. Es gab auch Ställe. Ich hörte mehr als einmal das Grunzen von Schweinen, sah auch Hühner frei herumlaufen.
Das Bild fand ich noch akzeptabel, mich störte etwas ganz anderes. Es konnte durchaus an der Atmosphäre liegen, die für mich, den Fremden, etwas Bedrückendes hatte.
Die Bewohner machten keinen fröhlichen oder lockeren Eindruck. Sie bewegten sich mit langsamen Schritten, ihre Gesichter wirkten verkniffen und sogar ängstlich.
Den Grund glaubte ich zu kennen. Hier waren vier Menschen von einer brutalen Bestie getötet worden, da konnten die Menschen eben nicht fröhlich sein. Das schlug sich auf ihr Gemüt nieder und machte sie traurig oder sogar depressiv.
Natürlich fiel ich auf. Verstohlene Blicke trafen mich. Ich tat so, als würde ich sie nicht bemerken.
Mit meinem schmalen Ein-Mann-Koffer an der rechten Hand ging ich weiter und dachte an die Beschreibung des Mannes, die ich gut behalten hatte.
Wenn es so etwas wie eine ungepflasterte Hauptstraße gab, dann mußte ich sie dort verlassen, wo eine knorrige Buche wuchs, in deren Schatten einige Bänke standen. Dort saßen ältere Menschen und schauten in den Tag hinein.
Der Weg führte mich in die nördliche Richtung. Dort lagen auch die beiden Seen. Sehen konnte ich sie nicht, dafür entdeckte ich das wie geduckt dastehende Haus mit der hellen Fassade, dem grauen Dach und dem schmalen Anbau.
Mein Ziel!
Und von Wladimir Golenkow hatte ich bisher noch nichts gesehen. Meine ungute Ahnung war gewachsen, ich machte mir Sorgen und hoffte, daß ein gewisser Oleg Blochin, bei dem er wohnte, mich über ihn aufklären konnte. Zum Glück verstand der Mann meine Sprache. Er hatte früher bei demselben Verein gearbeitet wie Wladimir, und die Ausbildung beim KGB war nicht schlecht gewesen.
Gras wuchs vor dem Haus. Es sah aus, als hätte es sich an der Wand festgeklammert. Ein Garten gehörte auch dazu. Nur wurde er von keinem Zaun eingefriedet.
Die Haustür stand offen. Sie war ziemlich tief nach innen gebaut, bildete die rückseitige Grenze einer Nische, stand auch offen und hatte einen mir fremden Mann entlassen, der sich jetzt aus dem Schatten löste, als er mich ankommen sah.
Das mußte Oleg Blochin sein.
Ich blieb stehen und stellte den Koffer ab. Der
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