0759 - Werwolf-Wahnsinn
Wette.
Neugierig wurde ich schon, als der Zug seine Geschwindigkeit verlangsamte.
Nicht weit entfernt lagen zwei Seen unterschiedlicher Größe. In dem einen war eine Insel. Etwas Dunkles ragte von dieser Insel her in die Höhe. Als ich hinschaute, überkam mich irgendwie ein leichtes Gruseln. Vielleicht paßte dieses alte Gemäuer einfach nicht zu dem herrlichen Sonnenschein.
Wir rollten in den Bahnhof.
Slobicze. Dieses Dorf mit dem für mich beinahe unaussprechlichen Namen war mein Ziel. Ein Bahnsteig tauchte auf. Sehr schmal sah er aus, und die Pfosten, die das Dach des Gebäudes hielten, bestanden aus Holz.
Ich stand schon an der Tür und schaute hinaus. Wladimir Golenkow hatte versprochen, mich abzuholen, bisher allerdings hatte ich ihn nicht zu Gesicht bekommen.
Es konnte auch sein, daß ich ihn übersehen hatte, obwohl dies schlecht möglich war, denn die lange, ein wenig schlaksige Gestalt des blonden Russen fiel eigentlich auf.
Der Halt!
Ich öffnete die Tür und hörte eine krächzende Lautsprecherstimme, die etwas bekanntgab, das ich nicht verstand. Ansonsten herrschte auf dem Bahnhof eine beinahe friedhofsähnliche Ruhe, und die Menschen, die sich hier aufhielten, wirkten wie Puppen. Auch die, die nicht auf den Bänken saßen und ins Leere schauten.
Ich tat dies nicht, stand vor dem Wagen und blickte mich um, ohne eine Spur von Wladimir Golenkow zu entdecken.
Konnte oder wollte er nicht?
Nicht daß ich wütend wurde, aber ärgerlich war es schon. Zudem wußte ich nicht, wo ich hinwollte.
Zwar kannte ich Wladimirs Bekannten namentlich, er hieß Oleg Blochin, aber wo der nun wohnte, war mir nicht bekannt.
Ich schaute auf die Uhr, während der Zug nach einem schrillen Pfiff des Stationsleiters wieder abfuhr.
Zu früh war ich nicht eingetroffen, wohl aber runde zwanzig Minuten zu spät.
Da hätte Wladimir doch warten können.
Der Arger verschwand und schuf einer gewissen Besorgnis Platz. Schließlich lag eine Zeit zwischen seinem Anruf und meiner Ankunft hier, da konnte eine Menge geschehen sein.
Ich merkte wohl, daß mich die Menschen anschauten. Ihre Blicke brannten förmlich auf meinen Rücken. Man war es wohl nicht gewohnt, daß Fremde aus dem Zug stiegen.
Was tun?
Hier auf dem Bahnhof stehen, wollte ich auch nicht. Ich zerbiß einen Fluch zwischen den Zähnen, nahm den Koffer hoch und machte mich auf den Weg.
Um nach dem Oleg Blochins Haus zu fragen, traute ich mir noch zu. Vor dem Bahnhof parkten einige sehr alte Fahrzeuge osteuropäischer Marken. Ein Taxi gab es natürlich nicht in diesem Kaff.
Wahrscheinlich wäre der Besitzer auch bei der geringen Nachfrage verhungert. Hier konnte man alles zu Fuß erledigen.
Für das Dorf selbst hatte ich kaum einen Blick, denn mein ungutes Gefühl steigerte sich. Nach einigen Schritten war ich davon überzeugt, zu spät gekommen zu sein, und irgendwie fühlte ich mich auch hilflos.
Ich entdeckte einen älteren Mann, der neben einem Auto stand und in meine Richtung schaute. Auf ihn ging ich zu. Unter dem Rand der Schiebermütze hinweg schaute er mir mißtrauisch ins Gesicht, als ich vor ihm stehenblieb und ihn grüßte.
Er nickte nur.
»Oleg Blochin? Wo…?« fragte ich.
Er legte seine Hand an das linke Ohr, und ich wiederholte die Frage. Dann sprach er so schnell, daß ich nichts verstand und nur die Schultern hob. »Ich will hin.«
»Zu Blochin?« fragte der Mann in deutscher Sprache. Er war wohl deutscher Abstammung.
Da konnte ich ihm antworten. »Ja, ich werde von ihm erwartet und habe eigentlich gedacht, daß er oder sein Freund Wladimir Golenkow mich abgeholt hätten. Aber…«
»Wladimir, der Fremde?«
»Sicher, kennen Sie ihn?«
Er schaute mir tief in die Augen, nickte, bekreuzigte sich und erklärte mir nur noch den Weg. Als ich mich bei ihm bedanken wollte, ging er schnell weg.
Auch diese Begegnung hatte mein ungutes Gefühl nicht eben weniger werden lassen.
Was tat sich hier? Wahrscheinlich wußte er Bescheid, welche Tat Wladimir hatte begehen müssen.
In einem derartigen Ort spricht sich so etwas in Windeseile herum.
Wie dem auch war, ich wollte endlich Gewißheit haben und machte mich auf den Weg zu Oleg Blochin.
Über Slobicze aber schienen sich unsichtbare, düstere Wolken zusammenzuziehen…
***
Wladimir Golenkow hatte nicht nur schlecht geschlafen, sondern noch mies geträumt. Dementsprechend war auch seine Laune, als er sich ziemlich kaputt aus dem Bett wälzte. Nur der Umstand, daß an diesem Tag sein Freund
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