0765 - Todesangst und Leichenmoder
sichtbarer Zuschauer im Hintergrund gesessen hatte. Mir fiel wenig später auf, daß Dino Kellerman verschwunden war. Er hielt sich auch nicht bei seiner Verlobten auf.
Ich rechnete damit, daß der Fotograf etwas Bestimmtes vorhatte und täuschte mich nicht. Es dauerte nur Sekunden, bis der Mann den Weg zu mir zurückgelegt hatte.
»Hier bin ich«, sagte er und kniete sich vor mir hin.
»Das sehe ich, aber…«
»Nein, ich will mich nicht zu Ihnen setzen. Ich kann auch nicht lange bleiben. Ich wollte Sie nur nach Ihrem ersten Eindruck fragen.«
»Der ist gut, wenn Sie Ihre Verlobte meinen.«
»Unsinn, die meine ich nicht«, flüsterte er.
»Ich finde Ihre Aussage zwar toll, aber ich meine mehr die Atmosphäre dieser Session. Was sagen Sie dazu?«
Trotz seiner Eile ließ ich mir Zeit mit der Antwort. »Wissen Sie, Dino, ich bin zuwenig Fachmann, um das alles beurteilen zu können. Ich weiß nicht, ob die Arbeit gut oder weniger gut war. Damit kenne ich mich wirklich nicht aus, und auch über die Atmosphäre kann ich Ihnen nicht viel sagen.«
»Haben Sie es denn nicht gespürt?«
»Was?«
»Die Spannung, die Nervosität, die über dem Ganzen lag. Das war ein schlechtes Feeling.«
»Stimmt. Die Mädchen wirkten etwas nervös.«
»Ha!« Er lachte. »Nervös, sagen Sie? Nein, Mr. Sinclair, die waren nicht nervös.«
»Sondern?«
»Die hatten Angst!« zischelte er. »Verdammte, hündische Angst. Denen gingen die beiden Taten nicht aus dem Kopf. Sie mußten immer wieder daran denken und haben sich verkrampft.« Er verzog den Mund. »Das war keine gute Sache, und das weiß die Ascot auch.« Er kniete noch immer neben mir und starrte die Blondine an.
»Ja, sie fiel mir auch auf.«
»Und?« fragte er schnell. »Was hatten Sie für einen Eindruck? Ist sie nicht ein Monster?«
»Moment mal. Unter einem Monster stelle ich mir etwas anderes vor. Da habe ich auch meine Erfahrungen, das können Sie mir glauben, Dino.«
»Schon, ja, ich gebe Ihnen ja recht. Aber nicht nur ich sehe sie als menschliches Monster an. Auch andere. Wenn sie einmal die Mädchen in der Kartei hat, entwickelt sie sich zu einer Krake. Dann läßt sie die Girls nicht mehr los.«
»Die Models verdienen doch gut, oder?«
»Deshalb bleiben sie auch.« Er bewegte Daumen und Zeigefinger gegeneinander. »Kohle, Kies, Scheine…«
»Wie ist sie denn heute abend drauf?« fragte ich.
»Furchtbar. Sie hat getobt.«
»Ich habe nichts gehört.«
»Können Sie auch nicht. Dann zischte sie wie eine Schlange. Wenn sie sich so benimmt, ist sie am gefährlichsten.«
»Gab es einen Grund?«
»Mehrere. Den einen habe ich Ihnen gesagt, die Nervosität der Mädchen. Der andere aber ist für sie viel schlimmer. Winston Todd, ihr Assistent, ihr Fußabtreter, ihr was weiß ich nicht alles, hat sie draufgesetzt. Er ist nicht gekommen. Dabei sollte er schon vorher hier sein. Er hat auch das Geld, denn einige Leute müssen heute noch ausgezahlt werden. Die wollen Bares sehen.« Kellerman lachte. »Ich möchte nicht in Todds Haut stecken, wenn er hier erscheint. Die Ascot dreht durch. Die staucht ihn so zusammen, daß er in keine Zündholzschachtel mehr paßt. Darauf können Sie Gift nehmen.«
»Lieber nicht.«
»Okay, ich werde mal wieder gehen, sonst vermißt sie mich auch noch.«
Ich hielt ihn an der Jacke fest. »Einen Moment noch. Was passiert, wenn dieser Todd nicht erscheint?«
»Dann dreht die Ascot durch.«
»Und beunruhigt seid ihr nicht?«
Er drehte sich noch einmal um. »Weshalb denn?«
»Weil Todd nicht erschienen ist.«
Dino verstand. Er schluckte, dann atmete er tief durch die Nase ein. »Verdammt, Sinclair, malen Sie den Teufel nicht an die Wand! Meinen Sie… meinen Sie einen dritten Mord?«
»Ich hoffe nicht.«
»0 Scheiße«, sagte er nur, bleich geworden, und strich durch sein Haar. »Was meinen Sie? Soll ich Evelyn mal darauf ansprechen?«
»Würde ich nicht tun. Ich nicht. Vielleicht werde ich mich auch zeigen. Mal sehen.«
»Nicht schlecht.« Er ging wieder, schlug aber einen Bogen und näherte sich dem Zentrum des Geschehens aus einer anderen Richtung. Ich hörte die Ascot rufen. Ihre Stimme klang scharf.
Sie hallte über den Friedhof, denn jeder, den es anging, sollte ihre Worte hören. »In fünf Minuten geht es weiter.«
Eine Antwort erwartete sie wohl nicht. Wie ein Feldwebel stand sie in dem Scheinwerferlicht, holte aus ihrer Tasche eine Zigarettenspitze heraus und steckte ein Stäbchen hinein, das ihr einer der Helfer
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