0765 - Todesangst und Leichenmoder
nicht mehr allein in ihrer Wohnung!
***
Für sie war es keine Annahme, sondern ein konkretes Wissen, obwohl sie es noch nicht bewiesen bekam.
Ein Fremder…
Wer - der Mörder?
Sie blieb sitzen. Zum Glück befand sich vor ihr das Fenster, durch das sie nicht nur schauen konnte, sondern dessen Scheibe ihr auch wie ein schwacher Spiegel vorkam, der gewisse Vorgänge oder Bewegungen reflektierte. Wobei das nicht der richtige Ausdruck war, fand sie, denn der Schatten in der Scheibe, der sehr wohl einen menschlichen Umriß hatte, war keine Reflexion.
Aber er bewegte sich.
Er kam näher…
Zum erstenmal hörte sie ihn deutlicher, denn dieser Schatten sprach sie direkt an.
»Du hast sehr böse Gedanken, Evelyn, sehr böse sogar…«
Sie hörte die Stimme. Dunkel, aber auch schrill, natürlich verstellt wie auch die Schrift.
Trotzdem wußte sie, wer das gesprochen hatte. Jetzt fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Der Mörder stand hinter ihr, und sie dachte daran, daß sie einfach zu lange gezögert hatte. Sie hätte zuvor aufstehen, zum Telefon gehen und John Sinclair anrufen sollen.
Wenn sie sich jetzt blitzschnell bewegte und es…
Eis drückte in ihren Nacken. So jedenfalls fühlte es sich bei der ersten Berührung an, bis sie feststellen mußte, daß dieses Eis auch Schmerzen bereitete.
Demnach war es kein Eis, sondern ein Messer!
Und das bekam Druck. Die Spitze fand ihren Weg. Sie drang in die Haut ein und schuf eine kleine Wunde, aus der das Blut hervorquoll. Evelyn schrie nicht. Sie hatte sich hervorragend in der Gewalt.
Und sie hätte auch nicht wegen der Schmerzen gestöhnt oder geschrieen, sondern über ihre eigene Dummheit.
Es war einfach grauenhaft. Um Minuten war sie zu spät gekommen. Plötzlich war ihr klar, daß diese Küche für sie zu einem Grab werden würde. Am Küchentisch sitzen und sterben…
»Du bist böse, sehr böse…«
Evelyn Ascot stöhnte. Sie wollte etwas sagen, doch ihre Stimme versagte. Schock und Todesangst zugleich hielten sie mit ihren Klauen umklammert. Dann brach der Bann. »Ich… ich habe nichts getan, gar nichts…«
»Doch, du hast. Böse Gedanken, schlimme Gedanken. Du bist schlecht, so abgrundtief schlecht…«
»Hör auf, ich…«
»Nein, ich höre nicht auf!« Ihre Tat strafte die Worte Lügen, denn sie nahm die Waffe zurück.
War das die Chance?
Evelyn wollte sich zur Seite werfen. Eine Drehung schaffte sie. Mehr aber nicht. Diesmal huschte die Klinge von der Seite auf sie zu. Und sie war schnell wie eine Kugel.
Treffer!
Blut, Schmerzen, das letzte Zucken, dann brach Evelyn Ascot tot über dem Küchentisch zusammen.
»Böse, sehr böse bist du…«
***
So wie ich Evelyn Ascot in Erinnerung hatte, so wohnte sie sicherlich auch. Ich hatte mich nicht getäuscht, denn das Haus im Schatten des Hyde Parks machte einen sehr eleganten Eindruck, wozu das viele Glas auch beitrug, in dem sich die Strahlen der Sonne spiegelten.
Ich fand einen Parkplatz für Besucher, mußte einen Grünstreifen auf einem mit roten Platten bestückten Weg durchqueren und konnte mich erst dann der Haustür nähern, die weit offenstand, weil Handwerker dabei waren, dicht vor ihr ein breites Abtretgitter auszuwechseln. Beobachtet wurden sie dabei von einem Hauswart oder Portier, der mich, als ich an ihm vorbei wollte, mit Argusaugen erspähte und hastig hinter mir herlief. Er hatte mich auch sehr bald eingeholt, baute sich vor mir auf und fragte mit lauter Stimme. »Wo wollen Sie denn hin, Mister?«
Ich zeigte ihm meinen Ausweis.
Er stierte die Buchstaben an, fuhr durch sein Gesicht und fragte: »Das gibt doch keinen Ärger, Sir?«
»Wenn Sie mir keinen machen, bestimmt nicht.«
»Gott bewahre. Ich will einzig und allein meine Ruhe haben. Nur keinen Trouble.«
»Gut gedacht, Mister.« Ich ließ ihn stehen und ging auf eine der beiden Lifttüren zu. Schon beim Eintreten hatte ich auf dem Klingelbrett gelesen, daß ich in die dritte Etage mußte. Ich hoffte stark, daß ich Evelyn Ascot auch antreffen würde. Durch einen Anruf vorgewarnt hatte ich sie nicht.
Die eloxierte Tür schloß sich hinter mir, und ich legte meinen Finger auf den entsprechenden Knopf.
Ich war allein im Lift. Er roch nach einem Naturspray, und ich konnte mich zweimal im Spiegel sehen. Wieder dachte ich über die Frau nach. War sie die Mörderin? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Suko jedenfalls würde sich auf Kellerman konzentrieren. Sollte er recht behalten, war das eine Enttäuschung für mich,
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