077 - Der Schrei des Vampirs
Abwechslung würde mir guttun, und ich gebe dir mein Wort, daß du es nicht bereuen würdest.«
»Denkst du wirklich, ich bin so naiv und falle darauf herein?«
Die Vampirin setzte sich langsam in Bewegung. Mit katzenhafter Geschmeidigkeit kam sie näher.
»Du traust mir nicht?«
»Ich bin nicht verrückt. Ich habe nicht das geringste Verlangen danach, so zu werden wie du«, erwiderte Hale.
»Gefalle ich dir nicht? Du kannst alles, was du siehst, haben, Bernard. So ein Angebot solltest du dir nicht entgehen lassen.«
Drei Schritte war sie von dem PSI-Professor nur noch entfernt. Sie blieb stehen und breitete die Arme aus.
»Komm«, flüsterte sie. »Nimm mich.«
Bernard Hale dachte nicht im Traum daran, ihrer Aufforderung nachzukommen. Er war nicht lebensmüde.
»Wo habt ihr ihn hingebracht?« fragte er schneidend.
»Wen?« fragte die Vampirin unschuldig.
»Chao Kai, den Chinesen. Was habt ihr mit ihm gemacht?«
»Mach dir um ihn keine Sorgen.«
»Lebt er noch?«
»Aber ja.«
»Wo ist er?«
»Denk jetzt nicht an ihn. Denk an dich, an uns, Bernard. Ich bringe dich später zu ihm«, sagte die Vampirin. »Doch zuerst erwarte ich von dir, daß du mir einen Gefallen erweist. Mich hat noch nie ein Mann zurückgewiesen. Auch du wirst das nicht tun. Komm zu mir.«
Der Parapsychologe spürte die hypnotische Kraft, die von Zia Carratlos Augen ausging. Sie wollte ihn zwingen, zu gehorchen. Häufig machen sich Vampire ihre Opfer auf diese Weise gefügig, das wußte Bernard Hale, und er versuchte, gegen die Kraft, die auf ihn übergriff, anzukämpfen.
»Komm her!« sagte Zia Carrado in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
Der Parapsychologe fühlte sich auf eine unbeschreibliche Weise von ihr angezogen.
Sieh ihr nicht in die Augen, sagte ihm eine innere Stimme. Du darfst ihr nicht in die Augen sehen, sonst bist du verloren.
Er wollte den Blick senken, doch das ließ die Untote nicht zu.
»Komm her!« verlangte sie abermals, und er machte den ersten Schritt auf sein Verhängnis zu.
Aber dann besann er sich der Gnostischen Gemme, die er in der Hand hielt. Es fiel ihm sehr schwer, sich darauf zu konzentrieren, und er schaffte es auch nur für ein paar Sekunden.
Doch diese geringe Zeitspanne nützte er.
Er stieß einen Wutschrei aus und warf sich nach vorn. Zia Carrado hatte keinen Angriff erwartet. Der PSI-Professor überraschte sie damit.
Er holte aus und schlug mit der Gemme zu.
Im allerletzten Moment nahm Zia den Kopf zurück und entging so einem Treffer, der sie geschwächt und niedergestreckt hätte. Mit einem zweiten Schlag hätte sie der Parapsychologe bestimmt kampfunfähig gemacht - und dann hätte der Eichenpflock ihr schwarzes Herz durchbohrt.
Aber das war ein Wunschtraum, der sich nicht erfüllte.
Die Vampirin fauchte zornig. Ihre Hände zuckten vor, und sie gab dem Parapsychologen einen kräftigen Stoß. Hale taumelte zwei Schritte zurück - und starke Arme schlossen sich um seinen Oberkörper.
Das konnte nur Yul Carrado sein!
Aus, vorbei, dachte Bernard Hale, und dann raubte ihm auch schon ein harter Schlag die Besinnung.
Als er zu sich kam, hing er kopfüber über einer steinernen Wanne an einem Eisenhaken, und ein Hanfstrick schnitt schmerzhaft in seine Fußgelenke.
Die weitere Suche nach Chao Kai erübrigte sich. Der Chinese hing neben ihm, und er lebte noch, aber Bernard Hale hatte sich das Wiedersehen anders vorgestellt.
Sie sahen Zia und Yul Carrado. Der große, kräftige Vampir hielt einen blinkenden Dolch in der Hand. Spielerisch ließ er die Klinge immer wieder auf die linke Handfläche klatschen.
Bernard Hale verspürte dort, wo der Vampir den Dolch anzusetzen gedachte, ein unangenehmes Kribbeln: in der Kehle. Wenn Yul Carrado ihn und Chao Kai mit dem Dolch tötete, blieb ihnen nach dem Tod ein Vampirdasein erspart.
Nur mit einem Biß kann das Vampirgift übertragen werden.
Yul Carrado hatte gehört, was Bernard Hale mit Zia gesprochen hatte. Es war vereinbart gewesen, daß Zia den Parapsychologen ablenkte, damit sich Yul von hinten an ihn heranschleichen konnte. Der Trick hatte funktioniert. Hale befand sich in der Gewalt der Blutsauger.
»Deine Berechnungen waren richtig«, sagte Yul Carrado. »Es war bestimmt sehr schwierig, sie zu erstellen. Dein Pech, daß du glaubtest, gegen uns eine Chance zu haben. Wir sind in unsere Burg zurückgekehrt, um fortzusetzen, was wir vor langer Zeit unterbrochen haben. Hast du im Ernst geglaubt, uns davon abhalten zu können? Du
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