077 - Der Schrei des Vampirs
ihrer Blässe wirkte sie ungemein anziehend; ihr Gesicht war ebenmäßig und wurde von langen schwarzen Haaren umrahmt.
Yul Carrado überragte sie um einen Kopf. Er war ein furchteinflößendes Wesen, dem man seine Gefährlichkeit ansah. Die Gier nach Blut beherrschte alle Vampire, doch bei ihm war sie besonders ausgeprägt.
Die Vampire legten die letzten Stufen zurück und gelangten in ein finsteres Gewölbe. Sie legten Chao Kai auf den Steinboden, und Yul Carrado entzündete eine Fackel, die von einem in die Wand eingelassenen Eisenring gehalten wurde.
Weder Yul noch Zia warfen einen Schatten, und sie atmeten auch nicht.
»Binde ihm die Beine zusammen!« sagte Yul Carrado zu seiner Gefährtin.
Zia gehorchte. Noch nie hatte sie sich einem Befehl ihres Blutgemahls widersetzt. Das war auch nicht ratsam, denn in seinem Zorn war Yul schrecklich, sogar ihr gegenüber.
Mit einem widerstandsfähigen Hanfstrick fesselte Zia Carrado die Füße des Opfers.
Yul richtete sich auf. Er streckte sich, griff nach oben, und eine dickgliedrige Kette rasselte. Sie lief über breite Rollen, und an ihrem Ende befand sich ein klobiger Haken.
Sobald Chao Kais Beine gefesselt waren, klemmte Yul den Haken zwischen die Knöchel des Asiaten, und dann zog er an der Kette, die sich klirrend spannte.
Beim nächsten Zug wurden die Beine des Chinesen hochgerissen, und davon wurde Chao Kai wach. Er hörte das Rasseln und spürte, wie er hochgezogen wurde.
Als er den Bodenkontakt verlor, pendelte er mit dem Kopf nach unten hin und her, und Yul Carrado zog weiter, bis die Füße des Chinesen fast die Rollen berührten.
Über eine Eisenschiene schob Yul Carrado sein Opfer etwa vier Meter durch das Gewölbe, und schaudernd stellte Chao Kai fest, daß er nun über einem steinernen Becken hing.
Er konnte sich denken, wozu das gut sein sollte. In diesem Becken sollte sein Blut aufgefangen werden!
***
Bernard Hale entspannte sich. Vermutlich hatte ein Luftzug die Tür zugeworfen. Der Parapsychologe kehrte nicht um, sondern setzte seinen Weg fort.
Jede Minute war kostbar. Hale wagte sich nicht vorzustellen, was die Vampire in diesem Moment mit seinem Lieblingsschüler anstellten.
Chao Kai war ein hervorragender Kämpfer, doch diesmal hatte er wohl keine Gelegenheit gehabt, das zu beweisen.
Der PSI-Professor trat in eine große Halle. Wie tose Tiere hockten die schwarzen Schatten in den Ecken. Sie wollten ihn verschlingen.
Er nahm die Gnostische Gemme ab.
Mehrmals schlang er sich den Lederriemen um die Hand. Seine Finger umschlossen den flachen Stein, und er wünschte sich, endlich einen der Blutsauger zu Gesicht zu kriegen.
Der Parapsychologe stieß gegen einen hölzernen Schemel. Er zuckte sogleich zurück und verhielt sich vollkommen still. Ein ratterndes Geräusch tönte durch die unheimliche Burg, und Hale rechnete damit, daß nun gleich die Blutsauger erscheinen würden.
Und tatsächlich tauchte Augenblicke später eine Gestalt neben der Treppe auf, die nach oben führte.
Zia Carrado!
Reglos stand sie da. Ihr schlanker Körper war von einem hellen Kleid umflossen. Bodenlang war es, und im tiefen Ausschnitt wölbte sich ein üppiger Busen.
Die Hölle in verführerischer Verpackung! durchzuckte es den Parapsychologen.
Vorsichtig näherte er sich dem schönen Schattenwesen. Er ließ sich von ihrem attraktiven Aussehen nicht täuschen, denn er wußte nur zu gut, was hinter dieser Fassade steckte.
»Ihr seid also wieder da«, sagte Bernard Hale mit belegter Stimme. »Wann seid ihr zurückgekehrt?«
»Gestern, nacht«, antwortete die Vampirin. Sie lächelte so, daß man ihre spitzen Eckzähne nicht sehen konnte.
»Wo habt ihr so lange gelebt?«
»In Transsylvanien. Du bist nach unserer Heimkehr unser Gast. Ich heiße dich willkommen, Fremder.«
Damit er für Zia Carrado kein Fremder blieb, nannte er seinen Namen. »Ich wußte, daß ihr kommen würdet«, sagte er. »Meine Berechnungen haben es ergeben.«
»Du scheinst ein außergewöhnlicher Mann zu sein. Ich habe eine Schwäche für außergewöhnliche Männer«, gurrte Zia.
Hale blieb stehen. »Wo ist Yul Carrado?«
»Nicht hier. Wir sind allein«, sagte Zia verführerisch. »Wir sollten diese Gelegenheit nützen.«
»Du bist eine verdammte Blutsaugerin!« sagte Hale voller Abscheu.
»In deinem Fall könnte ich meinen Hunger bezähmen. Dafür müßtest du aber bereit sein, mir etwas anderes zu geben. Du weißt, was ich meine. Ich bin mit Yul schon zu lange zusammen. Eine
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