077 - Der Schrei des Vampirs
uns; dazu bedurfte es keiner langen Absprache, wir waren seit Jahren bestens aufeinander eingespielt.
Mr. Silver verschwand aus meinem Blickfeld. Ich öffnete das breite Werkstattor und sah die beiden Maschinen, von denen Helen Dillaway gesprochen hatte.
Meine Hand wischte über drei untereinanderliegende Lichtschalter. Sofort wurde es taghell in der Werkstatt. Es gab keinen Schatten mehr, in den sich Ray Dillaway verkriechen konnte.
Mein Rover glänzte herzerfrischend, alles Chrom funkelte, doch ich schenkte dem kaum Beachtung. Ich mußte Ray Dillaway finden.
Entweder ich oder Mr. Silver. Wenn er tatsächlich das geworden war, was wir befürchteten, mußten wir ihn schnellstens unschädlich machen.
Ich schaute in den Waschraum, ins Büro, in die Besenkammer… Nichts. Beim Verlassen der Werkstatt löschte ich wieder die Lichter, und dann schloß ich das Falttor.
Ich lief die Straße entlang. Alle möglichen Verstecke nahm ich in Augenschein. Von Ray Dillaway keine Spur. Je länger die Suche dauerte, desto flauer wurde das Gefühl in meiner Magengegend.
Ray konnte sich bei den Nachbarn eingeschlichen haben. Ein Mann… Eine Frau… Ein Kind… Ahnungslos… Ray war es egal, wessen Blut er trinken würde.
Vor meinem geistigen Auge sah ich ihn auf der Lauer liegen und eiskalt auf seine Chance warten. Mich schauderte. Aber ich konnte nicht mit den Fäusten gegen sämtliche Türen hämmern und brüllen, es wäre ein Vampir in Laxford.
Theoretisch bestand auch die Möglichkeit, daß Ray das Dorf verlassen hatte. Vielleicht befand er sich auf dem Weg zur Burg. Schließlich fühlte er sich jetzt als Diener derer, die ihn zum Blutsauger gemacht hatten.
Möglicherweise hatte er von nun an eine neue Adresse: Blood Castle.
Ich zog meine Kreise immer weiter. Plötzlich vernahm ich ein Geräusch hinter mir. Meine Hand zuckte augenblicklich zum Colt Diamondback, und ich wirbelte herum.
***
Da hingen sie im Burgverlies, mit dem Kopf nach unten, wie Fledermäuse. Das Blut rann ihnen in den Kopf und pochte wild in den Schläfen.
»Da habe ich Sie ja in eine schreckliche Lage gebracht, Chao Kai«, sagte Bernard Hale bedauernd. »Ich hoffe, Sie können mir verzeihen.«
Zia und Yul Carrado hatten das unterirdische Gewölbe verlassen. Vielleicht befanden sie sich bereits auf dem Weg nach Laxford, um ihren Sohn zu suchen.
Sie hatten einen Sohn! Auch das noch. Als ob zwei Vampire nicht schon genug gewesen wären.
»Es gibt nichts zu verzeihen, Professor«, sagte der Chinese. »Ich habe aus freien Stücken mitgemacht.«
»Weil Sie mir blindes Vertrauen entgegenbringen.«
»Weil ich mir genau wie Sie Chancen gegen die Vampire ausrechnete.«
»Leider haben wir uns verkalkuliert«, sagte der Parapsychologe und blickte in die Steinwanne, die bald ihr Blut füllen würde. »Ich bin manchmal so impulsiv, so ungeduldig. Wir hätten auf Tony Ballard warten sollen. Da hole ich ihn eigens aus Amerika zurück, und dann packen wir die Sache, bei der er uns helfen sollte, allein an. Das ist irgendwie schizophren.«
»Wir wollten es eben mal ohne ihn versuchen, Professor.«
»Falscher Ehrgeiz, würde ich sagen.«
»Vielleicht, aber an dem, was geschehen ist, läßt sich nun nichts mehr ändern. Wir sollten darangehen, zu verhindern, daß sich unsere Situation noch mehr verschlimmert.«
»Klug gesprochen, Chao Kai. Ich bin ganz Ihrer Meinung. Aber Sie übersehen eine winzige Kleinigkeit: Wir sind Gefangene der Vampire. Man hat uns gefesselt und an diese Haken gehängt. In Kürze werden wir den Dolch der Blutsauger an unserer Kehle spüren, und dann…«
»Dazu darf es nicht kommen, Professor.«
»Ich sehe mich außerstande, diese furchtbare Gefahr von uns abzuwenden.«
»Auch Vampire machen Fehler«, sagte der Asiate. »Sie dachten, es würde genügen, uns die Beine zusammenzubinden und hier aufzuhängen, aber sie haben nicht damit gerechnet, daß an mir ein Artist verlorenging. Wir kommen frei, Professor. Verlassen Sie sich auf mich.«
Chao Kai schob die Hand in seine rechte Hosentasche. Er holte sein Messer heraus und klappte es auf, dann spannte er die Bauchmuskeln an, und sein Oberkörper bewegte sich langsam nach oben.
Bernard Hale wäre das nicht möglich gewesen. Er war nicht so gelenkig wie der Chinese. Chao Kais Körper klappte in der Mitte regelrecht zusammen.
Er setzte das Messer an den Hanfstrick und zog die scharfe Klinge rasch hin und her. Faser um Faser durchtrennte er, und bald wurde die Fußfessel
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