077 - Die Hexe von Andorra
„Ich rate Ihnen, Hunter", sagte er wohlwollend, „sich zu einem umfangreichen Geständnis zu entschließen. Leugnen bringt Ihnen nichts ein. Aber wenn Sie geständig sind, ersparen Sie sich das peinliche Verhör."
„Scheren Sie sich fort!" rief Dorian ihm zu.
Die Klappe schloß sich. Dunkelheit umfing den Dämonenkiller. Die Ratten getrauten sich nun wieder aus ihren Löchern und kamen raschelnd näher.
Dorian verlor bald jegliches Zeitgefühl. Er wußte nicht, wie lange es schon her war, daß man ihn in die Zelle gesteckt hatte; mindestens war es schon einen Tag her. In seinen Eingeweiden nagte der Hunger. Noch war es jedoch kräftig genug, um sich der Ratten zu erwehren. An den Gestank der Exkremente seines Vorgängers hatte er sich inzwischen gewöhnt; er nahm ihn nicht mehr wahr. Dorian verstand nur nicht, warum man sich bisher nicht um ihn gekümmert hatte. Er war nicht einmal zum Verhör vorgeführt worden. Daß Quintano vor diesem Schritt zurückschreckte, glaubte er nicht. Schließlich hatte er auch keine Skrupel gehabt, Duponte von der Eisernen Jungfrau abschlachten zu lassen. Und Dorian hörte die Schmerzensschreie der anderen Gefolterten.
In den Pausen zwischen den einzelnen „peinlichen Verhören", vernahm er Schritte aus dem Gewölbe. Türen gingen auf und zu, und er vermutete, daß man wieder einen der Delinquenten aus der Folterkammer in seine Zelle zurückbrachte und den nächsten zum Verhör holte.
Es war schrecklich. Dorian fühlte sich ins sechzehnte Jahrhundert zurückversetzt. Er hatte damals in seinen verschiedenen Leben - etwa als Juan Garcia de Tabera oder als Baron Nicolas de Conde - lange genug in den Kerkern der Inquisition geschmachtet. Für ihn war diese Erfahrung nicht neu. Aber er fand, daß Quintano schrecklicher war, als alle Inquisitoren ihrer Zeit, die er kennengelernt hatte. Das schon allein deswegen, weil er die Methoden der Inquisition im 20. Jahrhundert anwendete.
Dorian dachte auch darüber nach, ob Quintanos Wahnsinn nicht vielleicht erst damals voll zum Durchbruch gekommen war, als er seinen Besitz, Castillo Basajaun, verlor und hier nur noch als Verwalter geduldet war; und Dorian überlegte sich, ob es unter solchen Umständen überhaupt noch tragbar war, die Burg zu kaufen. Das war natürlich vorerst eine rein akademische Frage, denn wenn nicht ein Wunder geschah, würde er dieses Verlies nicht lebend verlassen.
Er schreckte hoch, als die Klappe vor dem Guckloch quietschend aufging. Jetzt würden sie ihn holen.
Aber statt Quintanos Gesicht, tauchte in der Öffnung der Schädel einer schwarzen Katze auf. Ein rotes und ein schwefelgelbes Auge blickten ihn an.
„Estrella!" entfuhr es Dorian überrascht.
Er hätte nicht gedacht, daß ihm der Anblick einer Katze jemals solche Erleichterung verschaffen würde. Sie hielt sich mit den Vorderpfoten geschickt an den Eisenstäben fest.
„Hat Sixta dich geschickt?" fragte Dorian und kroch näher zur Tür. „Also hat sie Wort gehalten. Doch was verspricht sie sich davon, wenn sie dich zu mir schickt?"
Dorian sah, wie die Katze versuchte, ihren Kopf zwischen die Eisenstäbe zu zwängen. Nach einigen Versuchen gelang es ihr auch, und dann ließ sie die Vorderpfoten folgen und schlängelte ihren Körper durch den schmalen Spalt zwischen den Stäben. Kurz darauf hatte sie es geschafft und sprang zu Dorian in die Zelle. Als er sie streicheln wollte, fauchte sie ihn jedoch an.
„Schon verstanden", sagte er. „Ich werde dir nicht mehr zu nahe kommen."
Die Katze hörte ihm nicht zu - falls sie seine Worte überhaupt hätte verstehen können-, sondern sprang mit einem mächtigen Satz durch die Zelle und schnappte sich eine fette Ratte. Ein kurzer Kampf fand statt, der vom Fauchen und Quietschen der beiden Tiere begleitet wurde, dann hörte er ein durch Mark und Bein gehendes Knacken, als Estrella der Ratte das Genick durchbiß. Danach war es wieder still.
„Kann Sixta durch deine Augen sehen und hört sie auch, was ich zu dir sage?" sprach Dorian eine Vermutung aus.
Estrella miaute wie zur Bestätigung. Sie ließ von der Ratte ab. Da sie sich nicht mehr bewegte, war sie uninteressant für sie geworden. Sicherlich war Estrella an andere Kost gewöhnt.
„Sixta weiß jetzt also, wo ich mich befinde", sprach Dorian weiter. „Aber was nützt ihr das? Sie wird doch nicht versuchen, in die Burg einzudringen?"
Estrella miaute. War das nun ein Ja oder ein Nein?
„Sixta, du darfst dieses Risiko nicht eingehen", sagte er
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