077 - Zu Gast bei Mr. Vampir
ist doch ein Beweis!“
„Warten Sie, Doktor. Ich habe den Kellner in das Restaurant geschickt und ihm Leggatt gezeigt: er hat ihn nicht wiedererkannt. Leggatt hat eine starke Ähnlichkeit mit dem anderen, das ist alles!“
Morestier lehnt sich zurück und betrachtet die Decke. „Aber es sind doch zwei seltsame Übereinstimmungen: erst Jeannine, dann der Kellner … mit Vorbehalten, gut! Aber es ist doch außergewöhnlich, daß zwei Spuren, obwohl sie so unterschiedlich sind, zum selben Individuum führen!“
Der Kommissar antwortet nicht.
„Und ich bin davon überzeugt“, setzt der Arzt hinzu. „daß Sie auch in den Fällen Marcelle Bertal und Lucienne Lefevre auf einen Mann stoßen werden, den man als Leggatt beschreibt!“
„Das nehme ich an.“
Ein Polizist in Uniform betritt das Lokal, blickt kurz ins Extrazimmer, sieht den Kommissar und tritt näher.
Fauchard erhebt sich, geht mit dem Polizisten in eine Ecke des Zimmers. Während der Polizist leise zu ihm spricht, färbt sich Fauchards Gesicht ein wenig dunkler.
Als er seinen Bericht beendet hat, erhebt sich der Polizist, salutiert zackig und verläßt das Lokal.
Der Kommissar geht wieder zu Jeannine und Morestier zurück. Er macht einen mißmutigen Eindruck.
„Etwas Unangenehmes?“ fragt Morestier.
„Das kann man wohl sagen“, meint der Kommissar. „Leggatt ist seinen Bewachern entkommen.“
„Ein neuerlicher Beweis“, sagt der Arzt.
„Nicht unbedingt. Das ist vielleicht nichts anderes als ein unglücklicher Zufall, ein Zusammenspielen der Umstände. Als er das Restaurant verließ, wandte Leggatt sich nach links Richtung Place Muette, und einer meiner Männer folgte ihm in einem Abstand von etwa fünfzig Metern. Auf der Place Muette stand ein einziges Taxi am Standplatz. Leggatt sprang hinein, und bevor noch der Mann, der ihm folgte, ein anderes Taxi finden konnte, war Leggatt aus seinem Blickfeld verschwunden.“
Seit einer Weile hört Jeannine den beiden Männern nicht mehr zu. Sie möchte weggehen und allein sein. Insgeheim lacht sie über die albernen Vorstellungen des Kommissars, was die drei verschwundenen Mädchen betrifft. Fauchards Logik erscheint ihr kindisch, genau wie Morestiers Diagnosen…
Wenn sie nur wollte … ihr Nacken wird wieder heiß.
Sie fühlt sich glücklich, selbstsicher und unbesiegbar. Aber sie muß weg von hier, sie muß allein sein!
Erleichtert sieht sie, daß Fauchard sich erhebt.
„Ich gehe ins Restaurant zurück“, sagt er. „Von dort müssen die weiteren Nachforschungen ausgehen. Begleiten Sie mich?“
„Wir kommen später nach.“
Morestier möchte mit Jeannine allein sein. Er ist besorgt um sie. Er merkt, daß sie geistesabwesend ist, und das Fehlen jeder Reaktion ihrerseits überrascht ihn. In ihrem Blick liest er nur eine heitere, oberflächliche Gleichgültigkeit.
Fauchard verläßt das Lokal.
Der Arzt setzt sich auf die Bank neben sie. „Wollen wir zu Ihrer kleinen Tochter fahren?“
„Nein.“
Wann werden sie endlich aufhören, sie mit ihrer kleinen Tochter zu quälen? Sie begleitet ihr „Nein“ mit einem wütenden Blitzen ihrer Augen.
„Jeannine! Sie wollen Ihr Kind nicht sehen?“
„Nicht jetzt.“
Die Hitze in ihrem Nacken wird schwächer. Sollte sie sprechen? Der Gedanke an ihr Kind läßt sie zweifeln.
Sie versucht sich zu erheben, aber Morestier hält sie zurück.
„Lassen Sie mich!“
„Wohin wollen Sie gehen?“
„Ich weiß nicht.“
„Ich lasse Sie nicht allein, Jeannine!“
„Sie müssen mich allein lassen.“
„Weshalb?“
„Das würden Sie nicht verstehen.“
Sie blickt durch ihn hindurch, als sie sich wieder setzt. Sie möchte weg, sie muß weg – aber sie hat keine Eile. So bleibt sie reglos neben Morestier sitzen und hat das Gefühl, als existiere er nicht, als sei er Teil eines Theaterstückes, das eben zu Ende ging.
Als sie sich wieder erhebt, steht auch Morestier auf und nimmt ihren Arm. „Jeannine, ich lasse Sie nicht allein gehen!“
„Ich möchte aber allein sein!“
„Nein.“
„Er will es aber!“
„Wer – er?“
„Sie wissen es doch!“
Das ist Wahnsinn! Die junge Frau scheint mitten in einem Wahngebilde zu leben!
„Wohin möchten Sie gehen?“ Der Arzt unterdrückt seine Unruhe.
„Das weiß ich nicht.“
Immer dieses ‚ich weiß nicht!’
„Sie möchten hier weggehen, ohne zu wissen, wohin?“
„Er wird mich führen.“
„Sie sind verrückt! Vergessen Sie nicht, daß Leggatt entkommen ist! Er läuft
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