0770 - Die andere Seite der Hölle
hoffnungsvoll wartete.
Elenor drehte sich um. »Ich werde jetzt das Fenster öffnen und Heilungen durchführen. Ich spüre die innerliche Kraft meiner Freundin, die es will. Denn nur durch sie schaffe ich es. Die schwarze Madonna ist wichtig. Sie ist nicht Maria, sie ist die Nonne Franziska, die verbrannt wurde und den Betrachtern nun ihr schwarzes Gesicht zeigt. Aber das wirklich Große im Leben kann man nicht töten. Das war so, das wird auch immer so bleiben.«
Jane stimmte ihr durch ein Nicken zu. Sie wollte nicht fragen, obwohl sie es gern getan hätte. Statt dessen schaute sie zu, wie Elenor die Gardine zur Seite zog, so daß ihre Gestalt hinter der Scheibe sichtbar wurde.
Nicht wenige Menschen hatten sich mit Ferngläsern ausgerüstet und starrten auf das Fenster.
Der Stimmenwirrwarr verstärkte sich. Auch ein Beweis, daß Elenor gesehen wurde.
Sie drehte den Griff.
Dann zog sie mit einem Ruck das Fenster auf, und von der Straße her brandeten die zahlreichen Stimmen wie eine Welle gegen das Haus und durch das offenstehende Fenster in das Zimmer.
Jane trat so weit vor, daß sie ebenfalls nach draußen schauen konnte. Sie beobachtete, wie sehr sich die Szene veränderte.
Bisher hatten sich die Hoffenden und Verzweifelten zurückgehalten, das war nun vorbei. Sie sahen das Mädchen am Fenster, und die Absperrung hielt dem Druck der Menschenwoge schon beim erstenmal nicht stand. Die Bänder rissen, die schmalen Eisenpfosten kippten um. Es dauerte nur Sekunden, dann waren auch die Polizisten ›weggeschwemmt‹ worden, und so konnten die Menschen vom Vor- und auch vom normalen Garten Besitz ergreifen. Nichts hielt sie mehr auf. Zu lange hatten sie warten müssen, und zu lange litten sie schon unter ihren schlimmen Krankheiten.
Rollstühle wurden über den weichen Boden geschoben, Tragen schaukelten mit ihrer menschlichen Last heran. Was sich dort unten abspielte, steckte voll mit menschlicher Tragik und Leid.
Elenor schaute nur zu.
Sie genoß diesen Anblick. Wiederum lag das Lächeln auf ihren Lippen, und zwar so tief, als würde es überhaupt nicht mehr verschwinden wollen.
Ihre Augen glänzten. Sie strahlte, sie stand auf dem Zenit, und sie genoß ihren Triumph.
Jane schaute ebenfalls zu. Sie wußte nicht, was sie darüber denken sollte. Manchmal kam sie sich vor wie in einem Gefäß sitzend, dann wiederum hatte sie lichte Momente, und so etwas wie Warnungen breiteten sich in ihrem Hinterkopf aus. Eine innere Stimme sagte ihr, daß sie nur die Übersicht behalten sollte, alles andere konnte unter Umständen gefährlich werden.
Sie konzentrierte sich einzig und allein auf die Menschen und natürlich auf Elenor Hopkins, weil sie so etwas wie die Königin hier war. Das wußte sie auch, denn sie holte tief Luft, als wollte sie ihren schmächtigen Körper aufplustern.
Bevor Jane sie daran hindern konnte, hatte sie das rechte Bein angehoben und ihren Fuß auf die Fensterbank gestemmt. Ein Ruck, und plötzlich stand sie mit beiden Füßen auf der Fensterbank. Sie hielt sich nicht einmal fest. Seltsamerweise befürchtete Jane nicht, daß sie kippen könnte, denn diese schlanke Gestalt war gleichzeitig so etwas wie ein Machtfaktor.
Sie stand da.
Sie schaute auf ihr Volk, und sie hob mit einer majestätisch anmutenden Geste beide Arme, um den Vergleich mit einer Königin noch zu verstärken.
Sehr langsam senkte sie den Kopf, um in die Tiefe zu schauen. Der Vorgarten war belagert. Auch die Reporter wußten, wo die Action war. Die meisten von ihnen hatten sich schon wieder versammelt und ihre Fotoapparate hochgerissen.
Die Kameras klickten. Teleobjektive wurden eingestellt. Blitzlichter zuckten auf.
Elenor genoß es.
Minutenlang blieb sie so stehen, umbrandet von Beifall und Hilferufen.
Dann senkte sie die Arme.
Und sie bewies, welche Macht sie über die Menschen ausübte, denn im Garten wurde es still.
Elenor ließ sich noch einige Sekunden Zeit, bevor sie mit ihrer Rede begann. Jane hörte ihr genau zu. Daß sich die Stimme verändert hatte, nahm sie hin. Sie hatte nichts Kindliches mehr, klang klar und laut wie die einer erwachsenen Frau, und sie erreichte auch jedes Ohr.
»Ich danke euch. Ich danke euch allen, daß ihr zu mir gekommen seid und mir soviel Vertrauen entgegengebracht habt. Auf der einen Seite bin ich beschämt, auf der anderen aber hoffe ich, daß ich euch helfen kann und mir die schwarze Madonna zur Seite steht. Ich bin es nämlich nicht, die heilt, es ist die schwarze Madonna, die
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