0772 - Das Gericht der Toten
zuckte, als er die Lippen bewegte und den nächsten Satz formulierte. »Das Gericht der Toten hat sich zusammengefunden, um dich abzuurteilen und wegen des Frevels in den Tod zu schicken.«
»Tatsächlich?« Er ließ sich durch meine lockere Frage nicht beirren. »Dein Name?«
Ich überlegte, ob ich auf sein Spiel eingehen sollte und beschloss dann, mitzumachen. »John Sinclair.« Ich fügte noch etwas hinzu.
»Erzfeind der Hölle und schwarzmagischer Mächte.«
Der Richter nickte nur. »Wir wissen Bescheid.« Seine Stimme knarrte und klang dumpf. Sie schien in irgendwelchen Tiefen einer finsteren Totengruft geboren zu sein. »Du bist uns nicht unbekannt. Bisher hast du dich bei uns zurückgehalten, nun aber hast du die Grenze überschritten, denn du hast dir etwas angeeignet, das dir nicht gehört.«
»Der Skelett-Sessel?«
»Ja!«, dröhnte es mir entgegen.
»Ich habe ihn rechtmäßig erworben, ich habe ihn bezahlt, und er gehört demnach mir.«
»Nein!«, brüllte er. »Wem dann?«
»Dieser Sessel gehört uns. Wir wollen ihn haben. Wir wollten ihn schon immer haben. Damals wurde er uns weggenommen, aber das ist vorbei.«
»Wer nahm ihn euch weg?«
»Hector de Valois!«
Das hatte ich mir gedacht. Mein »Ahnherr« hatte also den gleichen Weg eingeschlagen wie ich. Wie sich die Bilder doch glichen. »Ihr wisst also über ihn Bescheid.«
»So ist es.«
»Dann kennst du ihn auch?«
»Ich habe ihn erlebt!«
Rose Cargills Stimme unterbrach meine Gedanken. Sie hatte sehr genau zugehört, wie ich nun erfuhr. »Der – der ist doch verrückt. Was soll das?«
»Bitte, Rose, seien Sie ruhig.«
»Schon gut, schon gut. Aber ich kann mich eben nicht so zusammenreißen wie Sie.«
»Wer seid ihr?«, fragte ich nach einer Weile. »Was habt ihr mit dem Sessel zu tun?«
»Er stand hier bei uns!«
»Dann wurde er gestohlen?«
»Hector de Valois nahm ihn.«
»Pech.«
»Wir wurden bestraft. Wir gehörten zu Baphomets Dienern. Wir haben ihm versprochen, auf den Sessel zu achten, aber wir haben uns geirrt und getäuscht. De Valois war schneller. Baphomet bestrafte uns. Er ließ uns nicht sterben. Wir blieben die lange Zeit hier in der Einsamkeit. Wir versteckten uns, wir waren zum Leben verflucht. Und nur hin und wieder trauten wir uns aus den Verstecken hervor. Manchmal sind wir auch gesehen worden, und so entstanden die Legenden über uns. Wir schlürften das Blut der Tiere, aber auch das der Menschen. Warmes, dampfendes Fleisch fanden wir immer, und wir hatten Baphomet geschworen, ihm den Sessel zurückzubringen.«
»Ich habe ihn nicht.«
»Das wissen wir. Dennoch wirst du sterben. Durch dich sind wir wieder auf seine Spur gelangt. Wir waren dabei, ihn in unseren Besitz zu bringen, denn zu uns zählte noch jemand, den du vernichtet hast. Deshalb bist auch du dem Tod geweiht.«
Das musste das Geistwesen gewesen sein, das ich in den Staaten erlebt hatte.
»Damit habt ihr den Skelett-Sessel noch nicht!«
»Wir wissen, wo er sich befindet.«
»Wo denn?«
»In deinem Haus.«
Da hatte der Richter Recht. Ich hatte einiges über den Sessel erfahren, aber ich wusste noch immer nicht, was ihn so wertvoll für diese Abtrünnigen machte. Und das wollte ich endlich erfahren. »Warum wollt ihr ihn besitzen? Was macht ihn so wichtig für euch? Wenn er Hector de Valois gehört hat, taugt er für euch nicht mehr.«
»Er speichert die Kräfte, auf die es uns ankommt. Wer ihn besitzt, hat Macht.«
»Über wen oder was?«
Es dauerte, bis wieder Laute aus seinem blutigen Maul drangen.
»Macht über seine Freunde und seine Feinde. Aber auch die Macht über die Zeit…«
Wenn mich seine Antworten bisher kalt gelassen hatten, so fing ich nun an, mich zu wundern. Macht über die Zeit?
Er hatte insofern rätselhaft gesprochen, weil ich mir darunter nichts vorstellen konnte. »Was heißt das – Macht über die Zeit?«
»Du brauchst es nicht zu wissen. De Valois hat es gewusst, wir wissen es, und Baphomet wird es wissen. Deshalb werden wir dafür Sorge tragen, dass er den Sessel zurückbekommt. Du aber hast ihn an dich genommen, und diese Tat kann nur durch den Tod gesühnt werden. Deshalb wirst du sterben.«
Ich gab auf, zumindest tat ich so. Tatsächlich suchte ich fieberhaft nach einem Ausweg, was nicht einfach war, weil ich in den Fesseln hing. Der Richter hatte bestimmt nicht gelogen, was die Zeit anging, denn ich hatte ja so etwas wie eine Zeitreise hinter mir. Nur war dieser Sessel ein sehr individuelles Teil. Er
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