0776 - Racheengel Lisa
meine Tochter. Die wird schon wissen, wo sie ihren Vater finden kann.«
»Wir hätten Sie dort besser unter Kontrolle«, sagte Suko. »Es wäre ein Hotel, das wir Ihnen aussuchen und wo wir…«
»Ach, hören Sie auf. Nein, nein, nein… wenn es mich erwischen soll, wenn die letzte Seite im Buch des Schicksals aufgeschlagen worden ist, darin kann man sie nicht wieder zurückblättern, finde ich. Oder liege ich da falsch?«
»Nein, das wohl nicht.«
»Eben.«
Ich kam wieder auf den Fall an sich zu sprechen und bat Alfred Darius, darüber nachzudenken, was sich vor einigen Jahren abgespielt hatte. Ob er nicht doch von Verbindungen wusste, die seine Tochter eingegangen war, denn sie war bestimmt nicht von allein auf diese Engel gekommen. Irgendwer musste sie darauf gestoßen haben, eine Person, zu der sie eine besondere Beziehung unterhalten hatte. »Überlegen Sie, Mr. Darius, gab es die wirklich nicht?«
»Doch, die gab es.«
»Und?«
»Meine verstorbene Frau.« Er schüttelte den Kopf, als er unsere enttäuschten Gesichter sah. »Sie ist es gewesen, die zu Lisa einen sehr intensiven Kontakt gehalten hat. Die beiden waren oft zusammen, und Lisa hat nach dem Tod ihrer Mutter sehr gelitten. Für sie war die Zeit noch schlimmer gewesen als für mich. Viel hätte nicht gefehlt, und sie wäre ihr bei der Beerdigung in das Grab hinterhergesprungen.«
»Könnte es dort eine Verbindung geben?«
»Ich wüsste nicht, Mr. Sinclair. Ehrlich gesagt, ich kann mir auch keine vorstellen, denn so nahe sich Mutter und Tochter auch waren, ich habe Helen nie über Engel sprechen hören. Wenigstens nicht bewusst und wenn ich dabei gewesen bin. Es ging immer nur über andere Probleme und Themen, aber nicht über Engel.«
»Hatte Ihre Frau denn einen Hang zur Esoterik?«, wollte mein Freund Suko wissen.
Darius wiegte den Kopf. »Einen leichten schon, aber wer hat das nicht in der heutigen Zeit? Irgendwie sind wir doch alle esotherisch veranlagt, finde ich.«
»Ja, das kann sein. Was betrieb sie denn im Einzelnen?«
Er winkte ab. »Nichts Besonderes, Mr. Sinclair. Meine Frau hat sich und uns hin und wieder die Karten gelegt.«
»Tarot?«
»Ja.«
»Können Sie sich daran erinnern, was dabei herausgekommen ist?«
Er hob die Schultern. »Nein. Ist vielleicht ein Fehler, doch ich persönlich habe daran nie so recht glauben wollen. Das war für mich alles fauler Zauber. Es gab natürlich Ergebnisse, doch welche das gewesen sind, habe ich vergessen. Mal waren sie gut, mal waren sie schlecht, aber zumeist schlecht.«
»Das ist immerhin etwas.«
»Und es ist eingetroffen«, sagte er. »Meine Tochter Lisa hat es eben bewiesen.« Er hob die Schultern. »Ich habe den Eindruck, dass wir uns in eine falsche Richtung bewegen, wenn wir uns auf eine Tote konzentrieren. Die Lebenden sind wichtiger.«
»Stimmt«, gab ich zu, »aber…«
Auf dem Schreibtisch meldete sich das Telefon durch einen unterschiedlich hohen Singsang. Alfred Darius schrak zusammen, und er fragte uns: »Soll ich abheben?«
»Warum nicht? Der Anruf ist bestimmt für Sie.«
»Ja, natürlich, entschuldigen Sie.« Er nahm den Hörer, hielt ihn gegen sein Ohr – und wurde bleich.
Das sahen auch Suko und ich. Und wir sahen noch mehr, denn der Mann ließ die rechte Hand mit dem Hörer sinken, sodass dieser die Platte des Schreibtisches berührte. Schweiß stand auf seiner Stirn.
»Was haben Sie?«, fragte ich.
»Sie ist es?«
»Lisa?«, fragte Suko.
Alfred Darius nickte.
***
Es gibt Situationen, die auch uns überraschten. Eine derartige war eingetreten, und wir beide schauten ihn an, als wäre er nur feinstofflich vorhanden. Darius war auch nicht in der Lage, etwas zu sagen.
Dabei wollte Lisa was von ihm, denn ihre Stimme klang mit jeder Sekunde, die verstrich, schärfer und aggressiver.
»Melden Sie sich!«, zischelte ich. »Sagen Sie etwas – bitte!«
»W… was denn?«
»Egal. Reden Sie. Halten Sie die Person auf! Versuchen Sie, Zeit zu gewinnen.«
»Aber ich…«
»Bitte…!«, drängte ich.
»Ja, gut, wie Sie meinen.« Er nickte und hob den Arm wieder an.
Dann legte er den Hörer sehr vorsichtig gegen sein Ohr, als hätte er Angst, ihn zu zerbrechen. »Lisa…?«, hauchte der Mann.
»Ja, Dad, ich bin es.« Die Stimme klang so laut, dass wir ohne weiteres mithören konnten.
»Das überrascht mich.«
Sie lachte schrill. »Kann ich mir denken. Ich bin frei, Dad, ich habe mich selbst aus den Mauern befreit, aber du hast mir nicht geholfen, und ich
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