0776 - Racheengel Lisa
eingeredet von irgendeiner Gerechtigkeit, die sie ausüben müsste. Sie sah sich als Vollstreckerin der Engel, um das Böse aus der Welt radikal zu vernichten. Jeder, der nicht so denkt wie sie, ist böse.«
Ich hatte ihn gut verstanden und führte seine Worte noch weiter.
»Dann wären fast alle Menschen ihre Feinde, wenn ich Ihre Worte richtig interpretiere.«
»Vieles deutet darauf hin.«
Ich spürte den Schauer auf meinem Rücken, trank ebenfalls und lehnte mich zurück. »Alle Menschen, die nicht so denken wie sie, sind ihre Feinde. Wissen Sie, was das in der Konsequenz bedeuten könnte?«
»Natürlich weiß ich das, Mr. Sinclair. Deshalb habe ich Sie auch zu mir kommen lassen. Sie müssen mir und den Menschen helfen. Sie müssen Lisa finden. Überlegen Sie mal, in den letzten Minuten kann wieder ein Mord passiert sein. Sie war hier, ich habe sie leider nicht gesehen, sie wird ihren Onkel überrascht, und sie wird mit ihm gesprochen haben. Ich kenne Hank oder kannte ihn. Er hat gern mit seinen so genannten Heldentaten geprotzt, und die waren nicht eben etwas für Betschwestern. Er wird es auch bei Lisa getan haben.«
»Da hat sie ihn getötet.«
»Ja.«
»Das reicht ihr als Motiv?«
»Immer, Mr. Sinclair. Es braucht nur jemand nicht auf ihrer Wellenlänge zu liegen und ihren Thesen nicht zu folgen, schon wird er von ihr als Feind eingestuft. Das müssen wir verhindern. Sie müssen Lisa fangen, sie muss wieder hinter die Mauern zurück. Eine andere Möglichkeit gibt es für mich nicht. Es sei denn, sie stirbt.«
Ich war nachdenklich geworden, dachte über Engel nach, wobei mir verschiedene Dinge durch den Kopf schossen. Namen, die im letzten Jahr eine wichtige Rolle gespielt haben.
Elohim, Raniel, der Gerechte, auch Henoch, der Überengel, dessen Rückkehr ich hatte stoppen können. Wahrscheinlich war Lisa auch über diese Gestalten informiert, und ich erkundigte mich bei Alfred Darius, ob ihm die Namen etwas sagten.
Er wiederholte sie, dachte über sie nach und schüttelte schließlich den Kopf. »Nein, die sagen mir nichts.«
»Hat Lisa sie Ihnen gegenüber nie erwähnt?«
»Auch das nicht.« Er wies auf seine Brust. »Sie müssen mich verstehen, Mr. Sinclair, ich habe von ihrem Engeltick gewusst, ihn aber nie so ernst genommen. Für mich hat Lisa mehr davon geschwärmt. Dass ich mich irrte, weiß ich jetzt.«
»Ist sie ihren Weg allein gegangen?«, erkundigte ich mich.
»Wie meinen Sie das?«
»Konnte es sein, dass sie Freunde gehabt hat, die sie unterstützten und an ihrer Seite standen?«
»Daran kann ich mich nicht erinnern.«
»Denken Sie weiter zurück. Vielleicht in der Schule, später als Teenager und…«
»Nein, sie war immer sehr allein. Es hat ihr auch nichts ausgemacht. Meine Frau lebt leider nicht mehr, sie war besser über unsere Tochter informiert. Ich bin ihr immer ein wenig fremd gewesen, war sicherlich auch zu verliebt in meine Arbeit. Ich bereue es jetzt, denn ich kann Ihnen kaum helfen.«
»Aber Sie haben Ihre Tochter doch in der Klinik besucht, nehme ich an?«
»Und wie. Am Anfang sehr oft, aber wir saßen uns gegenüber und waren wie zwei Fremde.« Sein Blick verlor sich in den Tiefen der Erinnerung. »Es war wirklich komisch. Vor mir sah ich meine Tochter und hatte trotzdem das Gefühl, dass es eine andere Person war. Es gab eine tiefe Kluft zwischen uns, und sie wollte sie auch nicht übersteigen, obwohl ich ihr verschiedene Brücken baute. Es lag daran, dass ich nicht auf ihrer Seite stand, was die Engel anging. Sie hat sich immer mehr als Rächerin angesehen, die das Böse in der Welt ausmerzen will, und sie war fest davon überzeugt, eben von ihren schützenden Engeln geleitet zu werden. Sie sprach davon, dass die Körper der Bösen zerstört werden mussten. Man musste sie einfach zerreißen, und deshalb hat sie wohl den Pflock genommen, um dies zu dokumentieren. Auch hat sie davon gesprochen, dass dem bösen Menschen der Kraftquell genommen werden müsste. Sie können sich bestimmt vorstellen, was sie damit meinte.«
»Das Herz!«
»Ja.«
»Deshalb also der Pflock«, sagte ich leise. »Wie bei einem Vampirjäger.« Während dieser Worte dachte ich an Marek, den Pfähler, meinen alten rumänischen Freund, von dem ich lange nichts mehr gehört hatte.
»So ist es gewesen, Mr. Sinclair.«
»Stimmt, nehme ich alles hin. Ich wundere mich nur, dass sie den Weg allein gegangen ist.«
»Freunde oder Freundinnen habe ich nicht kennen gelernt.«
»Dabei weiß ich
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