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0776 - Racheengel Lisa

0776 - Racheengel Lisa

Titel: 0776 - Racheengel Lisa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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dass sie das Gesicht ihrer Mutter sah, die mit dem gütigen Lächeln auf sie herabschaute und ihr alles verzieh, ebenso wie sie es in Lisas Kindheit getan hatte.
    Danach waren sie dann in das stille Zimmer – so nannten sie den Wohnraum gegangen, und die Mutter hatte das Tarot-Spiel aus der Schublade geholt, um ihr die Karten zu legen.
    »Dein Schicksal, mein kleiner Liebling, liegt in den Karten. Ebenso wie das meine.«
    Sie war immer sehr gespannt gewesen. Seltsamerweise war das Ergebnis immer gleichgeblieben.
    Zwei Karten blieben zurück.
    Für Lisa die Kaiserin.
    Für die Mutter – der Tod!
    Jedesmal hatte sich Lisa erschreckt und dann geweint, doch die Mutter hatte sie immer getröstet und ihr versprochen, dass sie auch nach dem Tod noch immer für ihren kleinen Liebling da sein würde.
    Dieses Versprechen sollte sie auch halten.
    »Mummy…!«
    Der Ruf wurde klagend und auch drängend. Sie wollte es endlich wissen, lange genug hatte sie gewartet. Die Jahre hinter den Mauern waren furchtbar gewesen, und sie wäre vor Sehnsucht beinahe vergangen. In den Träumen hatte die Mutter zusammen mit den Engeln doch mit ihr gesprochen, warum tat sie es jetzt nicht?
    »War ich böse, Mummy…?«
    Keine Antwort. Nur der Wind umwisperte sie. Er bewegte die dünnen Zweige der Büsche, er spielte mit dem Laub und ließ es geheimnisvoll rascheln. Über ihren Kopf hinweg und beinahe mit den Wolken vereint zogen dunkle Vögel ihre Bahn, manchmal krächzende Laute ausstoßend, als wollten sie ihr auf ihre Art und Weise Beifall spenden.
    »Gib doch Antwort, Mummy!« Sie flehte den Grabstein an und rang dabei ihre Hände.
    Schweigen…
    Die Szene wurde mehr und mehr zu einer irrationalen Farce. Auf der einen Seite der stumme Grabstein, auf der anderen die junge Frau, die klagend nach ihrer Mutter schrie.
    Da zog das Grauen ein wie ein dünner Sirup, und der Wind spielte raschelnd mit dem welken Laub der Bäume.
    Etwas geschah!
    Lisa Darius stand plötzlich so steif wie eine Figur. Da hatte sich in ihrer Umgebung etwas verändert, nur konnte sie nicht nachvollziehen, was es genau gewesen war.
    Sie bewegte ihre Nase. Ein Reflex, der durch eine bestimmte Veränderung ausgelöst worden war.
    Sie roch etwas.
    Ein sonderbarer und anderer Geruch wehte ihr entgegen. Ein fremder Geruch?
    Nein, kein fremder.
    Auf einmal wusste Lisa Bescheid. Es war der Geruch ihrer Mutter.
    Diese typische Körperausdünstung, die sie schon als Kleinkind kennen gelernt hatte und einfach nicht vergessen konnte.
    Ihre Mutter war da.
    Sogar in der Nähe und unmittelbar bei ihr.
    Lisa lächelte. Etwas anderes kam ihr in den Sinn. Sie hatte darüber gelesen, dass auch Engel einen bestimmten Geruch ausströmen.
    Manche rochen nach Weihrauch, andere wiederum nach anderen, fremden, aber kostbaren Essenzen und seltenen Kräutern. Nie war ihr Geruch unangenehm und erst recht nicht der ihrer Mutter.
    Helen Darius hatte den Ruf der verzweifelten Tochter erhört und war bei ihr.
    »Mummy…?« Lisa drehte sich auf der Stelle. Sehr langsam und mit ausgebreiteten Armen. »Mummy, ich begrüße dich …« Sie verneigte sich. Ihre Augen leuchteten mit der Intensität einer wahnsinnig gewordenen Person. »Komm her, lass deinen Geist auf mich niedersinken, denn ich weiß genau, dass das, was dort in der feuchten Erde liegt, nicht du bist. Es ist nur dein von Würmern und Käfern zerfressener Körper, der mit dir nichts mehr zu tun hat …«
    Aber Helen zeigte sich nicht.
    Kein heller Schein drang aus der düsteren Wolkenmauer auf den Friedhof nieder, und doch war Lisa zufrieden. Sie fühlte sich nicht mehr so allein gelassen.
    Sie legte den Kopf zurück und schaute zum Himmel. Dabei konzentrierte sie sich auf den Geruch ihrer Mutter. »Bald sehe ich dich, Mummy, sehr bald schon. Das weiß ich genau…«
    »Lisa!«
    Was war das? Himmel, eine Stimme. Eine Stimme, die nach ihr gerufen hatte.
    Aber nicht die Mutter.
    Ein Mann hatte sie angesprochen.
    Sie hasste ihn plötzlich, sie wollte nicht, dass sie gestört wurde, von niemanden gestört.
    Dann wieder. »Lisa!«
    Ihr Mund verzerrte sich. Nein, nicht fluchen, das tat man nicht.
    Aber sie drehte sich um.
    Der Mann stand jetzt vor ihr. Er hielt sich auf dem Weg auf, und sie erkannte ihn sofort.
    Es war ihr Vater!
    ***
    Wir hatten den Friedhof an der nördlichen Peripherie Londons erreicht, waren aus dem Rover gestiegen und auf das nicht geschlossene Eingangstor zugegangen. Die Witterung hatte sich der Umgebung angepasst. Alles

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