078 - Küss’ niemals Choppers Geisterbraut
gefunden hatte.
»Das ist der Verstorbene, Mister Brent. Mein Onkel James.«
»Ich habe es mir fast gedacht.«
Der Abgebildete war mittelgroß und von untersetzter
Gestalt. Er hatte ein Alltagsgesicht, ein Mann, der in der Menge nicht auffiel,
wenn man davon absah, dass trotz seines Alters – er starb mit siebzig – kein
einziges graues Haar auf seinem Kopf zu entdecken war. Sein Haupthaar war voll
und dunkel wie das eines jungen Menschen. »Und wer ist die Dame neben ihm? Eine
Verwandte? Eine Freundin, oder vielleicht seine Tochter? Sie ist noch sehr
jung... höchstens um die Zwanzig.«
»Ich kenne sie nicht«, sagte Emily Bybbs mit
eigenartigem Unterton in der Stimme, der Larry aufhorchen ließ. »Vielleicht
eine seiner... vielen Freundinnen... Er hatte eine Schwäche für junge
Mädchen... Ich kenne sie nicht. Irgendeine Namenlose.«
»Sie muss demnach zu seinen Eroberungen gehören, die
er offenbar kurz vor seinem Ableben machte.«
»Möglich.«
»Das Foto ist ganz neu. Es ist also nicht nur möglich,
sondern sicher, dass diese junge Frau kurz vorher in sein Leben trat.«
»Ein billiges Flittchen«, lautete Emily Bybbs’ kurze
Bemerkung zu der kurvenreichen, wie ein Vamp aussehenden schwarzhaarigen
Begleiterin, die Onkel James untergehakt hatte. Sie seufzte, »So war er nun
mal... er war nicht sehr wählerisch, und sie mussten immer sehr jung sein.«
»Sie haben diese Dame also nie zuvor gesehen?«
»Nein. Ich hatte nicht mal Ahnung davon, dass dieses
Foto existierte. Ich sagte Ihnen bereits, dass ich noch nicht dazu gekommen
bin, mir alles in Haus, Keller und auf dem Dachboden anzusehen... Vielleicht
hätte ich es gleich tun sollen... hier scheint es nicht mit rechten Dingen
zuzugehen.«
»Kommt mir auch so vor«, murmelte Larry, der seinen
Blick nicht von dem Bild wenden konnte. Er kannte die junge Frau, mit der Emily
Bybbs’ Erbonkel abgebildet war. Es war die Hexe Marina, die bereits zweimal in
seinem Leben seinen Weg gekreuzt hatte. Es gab keinen Zweifel. Sie war kurz vor
dem Tod des ehemaligen Hausbesitzers hier in London gewesen! Die Hexe Marina,
über die er schon so viel wusste, und Onkel James, über den er gar nichts
wusste, schienen alte und gute Bekannte gewesen zu sein.
Die acht Leichen im Keller dieses Hauses waren
möglicherweise die Überreste eines unheimlichen Geschehens, das auf diese
Verbindung zurückging, und das sich ereignete, als Miss Bybbs bereits in diesem
Haus lebte. Aber sie hatte von allem nichts bemerkt. Larrys Gesicht wirkte wie
aus Stein gemeißelt. Der Agent hielt sich allein mit der ältlichen Lady in dem
geräumigen Wohnzimmer in der ersten Etage auf. Unten im Keller hantierten noch
Higgins und seine Leute. Die Beamten von Scotland Yard hatten alle Hände voll
zu tun. Das Wohnzimmer war hell erleuchtet. Die Deckenlampe und die beiden
großen Stehlampen brannten.
»Erzählen Sie mir mehr über Ihren Onkel, Miss Bybbs...
Womit beschäftigte er sich zu seinen Lebzeiten? Was für ein Mensch war er? Wer
waren seine engsten Freunde und Bekannten, und was hat ihn veranlasst, nach
einem fast zwanzig Jahre währenden Streit zwischen Ihnen beiden Ihnen
schließlich doch noch alles zu vermachen?« Die Tür zum Zimmer stand weit offen,
und man konnte die aus dem Keller dringenden Geräusche hören. Ehe Miss Bybbs
auf Larrys zahlreiche Fragen antworten konnte, kam jemand durch die Tür.
Aus den Augenwinkeln nahm der PSA-Agent die
schattengleiche Bewegung wahr und wandte instinktiv den Kopf, weil er glaubte,
Higgins oder einer seiner Mitarbeiter wäre nach oben gekommen, um ihm eine
Mitteilung zu machen. Es war niemand von Higgins Leuten. Es war ein Fremder,
den er noch nie gesehen hatte, und den er doch kannte.
»Warum fragen Sie Emily?«, klang die Frage amüsiert von
der Tür her, wo der Ankömmling sich zeigte. Der alten Engländerin klappten die
Mundwinkel herab. Sie wollte etwas sagen, aber die Stimme versagte ihr den
Dienst. Kein Wunder! Auch Larry Brent stand drei Sekunden wie geschockt. Der
Mann, der auf sie zukam, war Emily Bybbs’ toter Erbonkel James...
●
Die Fahrt durch die Innenstadt verlief ohne
Zwischenfälle. Gerold Fürn steuerte das Taxi des Fahrers, den er im Körper von
Sonja Scharner getötet hatte, mit ruhiger und sicherer Hand. Er fuhr zunächst
an dem Hochhaus vorbei, in dem Kerstin wohnte. Es war nach Mitternacht und bis
auf wenige beleuchtete Fenster in dem zwölfstöckigen Wohnhaus waren alle
anderen dunkel. Auch Kerstins Fenster,
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