078 - Küss’ niemals Choppers Geisterbraut
die zur Straße hin lagen, waren
unbeleuchtet. Fürn fuhr das Taxi rund fünfhundert Meter weiter und ließ es
hinter einer Straßenkreuzung, die zu einem reinen Wohngebiet führte, stehen. Zu
Fuß kehrte er dann zu dem Hochhaus zurück und betätigte die Klingel, neben der
Kerstins Name stand. Es dauerte zwei Minuten, ehe sich durch die Sprechanlage
eine verschlafene Stimme meldete. »Ja? Wer zum Teufel klingelt denn so spät?«
»Ich bin’s, Kerstin. Gerold...« Drei Sekunden
herrschte Stille. »Und was willst du?« Die Frauenstimme aus der Sprechanlage
klang sofort kühler. »Zu dir. Ich muss mit dir reden.«
»Weißt du, wie spät es ist?«
»Ja.«
»Dann komm morgen wieder.«
»Dann kann es zu spät sein. Ich brauche dich,
Kerstin..«
»Und das ist dir erst jetzt eingefallen? Weißt du,
wann du das letzte Mal hier gewesen bist?« »Drei oder vier Tage sind es her.«
»Vor vierzehn Tagen, mein Lieber. Tut mir leid! Geh nach Hause! Vielleicht lass
ich morgen mit mir reden.« »Ich laufe seit Stunden durch die Stadt, Kleine...
Ich brauche einen Menschen, bei dem ich mich ausreden kann. Nur auf einen
Drink.« Er kannte die brünette Kölnerin, die in einem großen Kaufhaus als
Verkäuferin arbeitete, lange genug, um zu wissen, wie er sie behandeln musste,
um sie weich zu kriegen. Kerstin war labil. Sie gab immer wieder nach. So auch
in dieser Nacht. Der Türsummer ging. »In Ordnung, aber nur auf einen Drink.«
»Klar, Kerstin. In ‘ner halben Stunde bin ich wieder
weg.« Dann betrat er das Haus. Gerold Fürn alias Chopper wusste, dass er den
Rest der Nacht in diesem Haus und im Bett der anschmiegsamen Kerstin verbringen
würde, die nicht nein sagen konnte. So kam es, dass eine junge Frau in dieser
Nacht, ohne es zu ahnen, Chopper küsste. Und das Unheil nahm seinen Lauf...
●
In Emily Bybbs’ Augen stand das nackte Entsetzen. Sie
musste sich am Tisch festhalten. »James?« Ihre Stimme war nur ein Hauch. Larry
Brent ließ den wiedererschienenen Verstorbenen nicht aus den Augen. Der
untersetzte Mann trug einen dunklen Anzug, Hemd und eine dezent gestreifte
Krawatte. »Emily«, begann der wie ein Geist im Haus Auftretende, »kann Ihnen
Ihre Fragen nur unvollständig beantworten. Aber all das, was Sie wissen wollen,
kann ich Ihnen sagen. Ich bin der wahre Hausherr und weiß, was hier passiert
ist. Emily, so klug und scharfsinnig sie sonst auch sein mag, muss hier
versagen.«
»James?«, fragte die ältliche Lady aus dem
Hintergrund. »Sag, dass es nicht
wahr ist?! Wir haben dich doch beerdigt... ich habe dich im Sarg liegen
sehen...« Der Angesprochene lachte leise. »Du hast mich so lange liegen sehen,
wie es notwendig war, um euch alle zu täuschen. Eine Stunde vor der Beisetzung
wurde der Sarg geschlossen. Für euch war ich tot. Aber nun begann mein Leben
wieder. Ich verließ den Sarg. Das Innere der Totenkiste wurde mit Sandsäcken
gefüllt, die an meiner Stelle in die Erde versenkt wurden.«
»Aber, warum das alles?«, fragte Emily Bybbs
ungläubig. »Warst du denn... nicht tot? War alles nur eine makabre Farce? Ich
verstehe den Grund nicht?«
»Er ist einfach, wenn man ihn kennt.« Der Sprecher
löste sich noch einen Schritt von der Tür und blieb dann stehen. »Es hängt mit
meinem Haus zusammen... mit ihm hat alles begonnen. Es übt einen eigenartigen
Reiz auf denjenigen aus, der darin wohnt. Ich habe mein ganzes Leben hier
verbracht... und wurde mit der Zeit still, zurückhaltend, sonderlich und das,
was man einen unausstehlichen Mann nennt. Anfangs versuchte ich dagegen
anzukämpfen. Aber das, was durch das Haus und die Umgebung auf mich einströmte,
war stärker. Ich wurde streitsüchtig und böse. Und dann gefiel mir, wie ich
war. Darauf ist auch der Streit zurückzuführen, der uns seinerzeit trennte,
Emily... Ich wollte allein sein. Ich interessierte mich mit einem Mal für
Bücher, die ich früher belächelt und abgelehnt hatte. Seltsame Geschichten vom
Leben und Sterben von Menschen mit außergewöhnlichen Erlebnissen. Ich wollte
alles wissen über Kräfte, die die Menschheit seit jeher in ihren Bann schlugen.
Okkultes und Magisches, Übersinnliches und verbotene Praktiken, derer sich
Geheimgesellschaften schon immer bedienten. Ich stopfte mich voll mit solchem
Wissen. Mir war klar, dass es in der Welt noch andere Menschen gab, die sich
für ähnliche Dinge interessierten. Bei den meisten war es sicher nur Neugier.
Bei mir aber steckte ein ständig wachsender, böser Wille
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