0782 - Die Bucht der blauen Geier
zwanzig Minuten wieder nach Westen, also in die ursprüngliche Richtung. ,„Wir kommen nicht dagegen an", sagte Sagullia atemlos. „Was ist das bloß für eine seltsame Strömung. Ha, jetzt drehen wir wieder nach Norden ab!"
„Das ist keine normale Strömung", erklärte ich, als ich das Meer genau beobachtet hatte. „Wir sind in einen großen Strudel geraten." Ich deutete auf den imaginären Punkt, um den wir innerhalb der letzten zwanzig oder dreißig Minuten herumgefahren waren und den wir offenkundig wieder und wieder umkreisen würden. „Der Meeresspiegel senkt sich nach allen Seiten gleichmäßig nach diesem Mittelpunkt ab.
Es ist der Schlund des Strudels, der uns in die Tiefe ziehen wird, wenn wir nicht herauskommen."
„Aber wir haben es doch versucht", erwiderte Sagullia. „Es geht nicht."
„Da wußten wir noch nicht, daß wir in einen Strudel geraten waren", sagte ich. „Wir warten ab, bis der Bug wieder nach Norden zeigt, dann müssen wir um unser Leben rudern."
„Könnten wir nicht mit unseren Funkgeräten Hilfe herbeirufen?"
erkundigte sich Sagullia.
Ich schüttelte den Kopf.
„Unsere Freunde können uns nicht helfen, und die Feyerdaler würden keinen Finger für uns rühren, wie ich sie einschätze.
Entweder helfen wir uns selbst - oder Schluß. Gleich ist es soweit! Jetzt!"
Ich gab einen kurzen harten Takt an, und wir setzten unsere ganze Kraft ein. Für wenige Sekunden sah es aus, als würde es uns gelingen, dem Strudel zu entkommen, aber für einen ungeübten Ruderer wie Sagullia war die Anstrengung einfach zuviel. Er kam aus dem Schlagtakt. Sofort fielen wir wieder zurück und wurden von diesem Mahlstrom in die alte Bahn gezwungen.
Ich spähte zum Mittelpunkt des Strudels und sah, daß die Entfernung zu ihm etwas geschrumpft war. Allmählich würde sie weiter schrumpfen, bis wir uns im Zentrum rasend um uns selbst drehen würden. Dann mußte entweder die Obya zerbrechen oder in einem Stück in den Rachen des Mahlstroms gerissen werden.
Mit Raumanzügen hätten wir wahrscheinlich eine gute Chance .gehabt, uns in der Tiefe des Meeres zu befreien, aber so ...
„Wir müssen etwas unternehmen!" schrie Sagullia in aufkeimender Panik. „Die SOL kann uns retten!"
„Wir können sie nicht erreichen", erwiderte ich. „Aber so schnell geben wir nicht auf. Sobald der Bug wieder nach Norden zeigt, versuchen wir es wieder."
Wir versuchten es, und diesmal geriet Sagullia nicht aus dem Takt. Dennoch gelang es uns nicht, aus dem Sog des Strudels zu entkommen. Wir erreichten nur, daß das Boot sich mehrmals um sich selbst drehte. Ein unheilvolles Knirschen zeigte an, daß es diese Belastung nicht noch einmal vertragen würde.
„Die SOL wird ihre Bahn durchs All ohne uns weiterziehen müssen", sagte Sagullia resignierend. „Warum mußten wir unsere sichere Welt verlassen?"
„Weil es ohne ständige Auseinandersetzungen mit der Umwelt keine Sicherheit gibt", antwortete ich, während ich fieberhaft nach einer Möglichkeit suchte, doch noch aus unserer aussichtslos erscheinenden Lage zu entkommen.
Plötzlich verdunkelte ein Schatten die Sonne.
Ich schaute mäßig interessiert hoch, weil ich annahm, daß der Schatten von einer Wolke geworfen wurde. Dann weiteten sich meine Augen, denn ungefähr zehn Meter über uns erblickte ich einen riesigen, geierähnlichen Vogel mit blauem Gefieder, der mit weit ausgebreiteten Schwingen beinahe reglos in der Luft hing.
Sagullia hatte den Vogel noch nicht gesehen. Doch plötzlich beschrieb das Tier einen Bogen nach rechts, kehrte im Sinkflug zurück -und hockte plötzlich auf dem schlanken hochgewölbten Bugspriet der Obya.
Sagullia schrie erschrocken auf, riß einen Riemen aus der Dolle und wollte nach dem Geier schlagen.
„Lassen Sie das!" befahl ich scharf. „Der Vogel hat uns bis jetzt nicht angegriffen, also brauchen wir uns auch nicht zu verteidigen."
Der Vogel legte den Kopf schief und musterte uns aus seinen gelblich leuchtenden Augen, dann riß er den Schnabel auf und gab ein hartes Krächzen von sich. Sagullia steckte den Riemen in die Drehdolle zurück.
Abermals krächzte der geierartige Riesenvogel. Er spreizte die Schwingen auf ungefähr halbe Spannweite, hob und senkte abwechselnd die Füße mit den dolchartigen Krallen und schwang sich wieder empor.
Aufmerksam und gespannt beobachtete ich, wie der Geier mit langsamen, träge wirkenden Flügelschlägen vor dem Bug unseres Bootes herflog, allmählich in Richtung Strudelmitte abwich
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