0783 - Der Tunnel
ich kriegte kaum einen Menschen zu Gesicht. Erst nach diesen Jahren traute ich mich wieder hervor.«
»Gab es noch Templer?«
»O ja, es gab sie, aber es war schlimm geworden, denn viele von ihnen hatten den falschen Weg eingeschlagen. Aus Wut, aus Zorn und aus Rache hatten sie sich einem schrecklichen Wesen zugewandt, vor dem mich Jacques schon immer gewarnt hatte.«
»Baphomet!«, sagte ich.
Lomenius war überrascht. »Du kennst ihn?«
»Sehr gut sogar. Im Prinzip hat sich zu früher nichts verändert, aber ich wollte dich nicht unterbrechen. Bitte sprich weiter, deine Worte sind zu interessant.«
»Es gibt nicht mehr viel zu reden, denn ich habe verloren.«
»Warum?«
»Ich ließ mich zu sehr von meinen Gefühlen leiten. Jetzt verfolgte mich nicht nur die Kirche, auch meine ehemaligen Freunde waren hinter mir her. Sie wollten mich umdrehen, ich sollte ebenfalls zu einem Diener des Dämons mit den Karfunkelaugen werden, aber ich habe mich immer geweigert, denn ich fühlte mich an das Versprechen gebunden, das ich Jacques de Molay gab.«
»Wer fing dich?«
»Verräter in den eigenen Reihen. Sie stellten mir eine Falle. Ich wurde gefangen und vor den Altar des Dämons geschleppt, der genau an dieser Stelle hier aufgebaut worden war. Ja, hier hat Baphomet eine Heimat gehabt, hier haben sie ihm gedient, hier feierten sie die grausamen Blutfeste.«
»Hast du es gesehen?«
»Und ob ich es gesehen habe. Sie hatten für mich einen Käfig gebaut und sperrten mich hinein. Ich konnte ihnen zusehen, wie sie ihre ehemaligen Ideale beschmutzten und in den Dreck zerrten. Sie verachteten das Kreuz so sehr, dass es mir weh tat und ich auch jetzt nicht darüber reden möchte. Irgendwann hatten sie dann genug, wandten sich mir wieder zu und prahlten mit ihrer Stärke. Damals hatte es diese Höhle schon gegeben, sie war ein besonderes Versteck, ausschließlich den Baphomet-Dienern bekannt.«
»Was hast du getan?«
»Ich spie sie an!«
»Womit dein Schicksal besiegelt war.«
»Ja.«
»Was taten sie?«
»Sie begannen mit der Folter. Mit einer schlimmem Folter…« Seine Stimme brach fast ab. »Dieser Tortour war eines Ritters unwürdig, aber darum kümmerten sie sich nicht. Sie wollten mir Stück für Stück das Leben nehmen. Mit langen Zangen fingen sie an, mir die Haut vom Körper zu ziehen, die sie kochten und selbst aßen. Ich will nicht mehr sagen, aber ich konnte seltsamerweise auch nicht sterben. Ich erlebte all die Qualen bei vollem Bewusstsein und sah mich immer nur als eine blutige Masse.«
»Bist du gestorben?«
Ich konnte nicht sagen, ob er auf diese Frage geantwortet hatte, aber er gab mir eine ungewöhnliche Antwort. »Ich starb und lebte trotzdem. Oder kannst du dir vorstellen, dass eine Person wie ich zu den Lebenden gezählt werden soll?«
»Im Prinzip schon…«
»Bitte, du darfst nicht lügen. Ich bin ein lebender Leichnam, und mir wurde die Haut vom Körper gezogen…«
»Ja, das weiß ich alles. Es muss doch jemand gegeben haben, der dich rettete…«
Er nickte. Wenn eine Mischung aus Skelett und Mensch nachdenklich aussehen konnte, so war das bei John Mark Lomenius tatsächlich der Fall. Ich hatte den Eindruck, dass er so aussah, und er flüsterte mir die nächste Antwort zu. »Wenn ich ehrlich sein soll, dann haben mich meine Freunde aus Avalon gerettet!«
Ich saß da und war wie elektrisiert. Ich hockte wie auf dem Sprung, bewegte mich aber nicht, weil da plötzlich eine Gänsehaut war, die mich wie ein Gefängnis umgab. Mein Gott, auf diesen Begriff hatte ich gewartet wie ein Normalverdiener auf den neuen Monat, wo ihm sein Lohn oder Gehalt überwiesen wurde, und ich merkte, dass diese zweite Haut nur allmählich verschwand. Intervallweise löste sie sich auf.
Lomenius hatte meine Veränderung bemerkt, denn er fragte: »Was ist mit dir?«
»Avalon«, sagte ich nur. »Ich habe, als ich in die Höhle eintrat, Stimmen gehört…«
»Ja, sie waren da. Es sind meine Retter gewesen.«
»Die aus, Avalon?«
Er gab mir keine direkte Antwort. »Erinnere dich daran, dass ich ein Ritter gewesen bin. Auch ich reiste durch die Lande und war auf der Suche nach Avalon, der geheimnisvolle Nebelinsel. Ich habe die großen Taten der Ritter gehört, die zu König Artus zählten, denn sie haben den Weg gefunden, weit vor mir.«
Ich präzisierte ihn. »Sprichst du von den Rittern der Tafelrunde, mein Freund?«
»Sie sind es gewesen. Ich habe Kontakt zu ihnen aufnehmen können, denn du musst wissen,
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