0786 - Angst vor der Hexe
ihr werdet geschmort werden, und dann erst hat das Märchen sein richtiges Ende gefunden.« Sie blieb an der langen Seite des Tisches stehen und stemmte ihre Hände auf die Platte. »Und jetzt zieht eure Sachen aus…«
»Warum?«, keuchte Davy.
»Zieht sie aus!«
Die Kinder rutschten von ihren Stühlen. Sie gehorchten, und die Hexe schaute zu.
Hin und wieder fuhr die Zunge aus dem Mund. Da leckte sie sich die Lippen, denn ihre Vorfreude konnte sie kam im Zaum halten.
Auch Davy weinte jetzt. Er hatte Mühe, die nächsten Worte zu sagen. »Unsere Eltern werden uns vermissen. Sie werden nach uns suchen, sie werden uns auch finden…«
Darüber konnte Olinka nur lachen, was sie auch schrill und ausgiebig tat. »Eure Eltern werden gar nichts, meine Süße. Wisst ihr, was eure Eltern werden? Was mit ihnen geschieht?«
»Nein!«
Olinka beugte ihren Kopf vor. »Wenn sie kommen, wenn sie den Wald betreten, werden die Ratten sie anfallen, sie zerfetzen, sie zerbeißen und ihre Reste den Schakalen überlassen…«
Amy und Davy vereisten vor Angst!
***
Der Wald empfing uns wie eine Ansammlung dunkler, in der Kälte starr gewordener Gespenster.
Die Langläufer waren längst verschwunden. An dieser Stelle hielt sich niemand mehr auf. Ich kam mir vor, als hätte man mich in die Arktis versetzt, denn die Zivilisation lag weit hinter uns. Dabei brauchten wir uns nur zu drehen, um die Lichter der Feriensiedlung zu sehen. Sie flirrten wie ein fernes Blendwerk über der Schneefläche, die ebenfalls eine andere Farbe bekommen hatte.
Das Weiß war verschwunden, eine andere Farbe hatte von ihr Besitz ergriffen. Sie sah aus, wie mit bläulicher Farbe bestrichen. Ein riesiger Pinsel war über die Hänge hinweggestreift und hatte dabei etwas dunkelblaue Farbe verloren.
Der Weg zum Waldrand war relativ beschwerlich gewesen. Wo keine Spur mehr war, hatten wir durch den Tiefschnee stapfen müssen.
Es war sehr kalt geworden. Die Luft war klar. Ebenso der Himmel.
Er zeigte sich über uns mit einer schon weihnachtlichen Pracht, denn er blitzte im Licht der Sterne.
Der Wind war eingeschlafen. Diese Tatsache ließ die Kälte einigermaßen erträglich erscheinen. Dennoch war es nicht still.
Aus dem dichten Wald drangen uns Geräusche entgegen. Wir waren nicht in der Lage, sie zu identifizieren. Mir kamen sie hin und wieder vor wie flüsternde Urlaute. Da raschelte, knirschte und knackte es, und ich war sicherlich nicht der einzige, der dabei an die Ratten dachte, die durch den tiefen Schnee huschten.
Sicherheitshalber hatten wir uns mit Taschenlampen eingedeckt, denn die Finsternis war zwischen den Bäumen einfach zu dicht. Wir mussten sie auflösen, um wenigstens einigermaßen einen Weg finden zu können. Natürlich wollte ich die beiden Alten haben, zuvor mussten wir sie und das Haus jedoch erst finden.
Von den Kindern hatten wir bisher keine Spuren entdeckt. Da der Waldrand ziemlich breit war, hätten wir lange suchen müssen, um eventuell etwas zu sehen, die Zeit hatten wir einfach nicht. Wenn jemand tatsächlich existierte, der ein altes Märchen umdrehen wollte, dann schwebten die Gibson-Geschwister in höchster Lebensgefahr.
Unterwegs hatten wir unseren Plan besprochen, und dabei war es auch geblieben. Wir wollten uns trennen.
Dabei sollten Bill und Brett zusammenbleiben, während ich mich allein auf den Weg machen wollte.
Der Reporter stand vor mir und massierte die Haut auf seinen Wangen. »Sollen wir?«, fragte er.
»Ja. Und denkt an die Fußangeln. Sie können überall aufgestellt worden sein.«
»Klar, machen wir.«
Brett Gibson schwieg. Er schaute zu Boden. Bill und ich ahnten, was in seinem Kopf vorging, schließlich waren es seine Kinder, die man entführt hatte.
»Kopf hoch, Brett!« Bill stieß ihn an. »Wir finden die beiden, darauf kannst du dich verlassen.«
»Das hätte ich an deiner Stelle auch gesagt.«
»Ich glaube daran, Brett.«
»Ich weiß es nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Wenn ich mir vorstelle, dass Amy und Davy tot sind und ich dann zurückkehre, um es meiner Frau zu sagen, Himmel, ich… ich würde dann durchdrehen. Ich käme überhaupt nicht mehr zurande. Mein Leben, nein, unser Leben wäre zerstört. Das… das musst du auch sehen, Bill.«
»Ich weiß es. Noch haben wir keinen Beweis, und wir werden sie rausholen.«
Ich nickte Bill zu. Es war das Zeichen zum Abmarsch. Ich wollte zudem nicht, dass Brett Gibson seinen trüben und depremierenden Gedanken hinterherhing. Er musste jetzt
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