0788 - Schreckensnacht der weißen Nonne
Als ich ausgestiegen war, sah ich die Gestalt der Frau einige Schritte vor der Kühlerhaube stehen. Einen Arm hatte sie ausgestreckt. Der Finger wies auf das Licht, von dem wir jetzt nicht nur den Kreis sahen, sondern etwas Kompaktes, das dicht über den Boden schwebte.
Anina jammerte. Sie duckte sich und flüsterte: »Mein Gott, mein Gott, schau nur…«
***
Für Pinky Eagle war eine Welt zusammengebrochen. Der Landstreicher mit dem besonderen Verhältnis zu Reverend Peters hatte sich zum erstenmal bei ihm unwohl gefühlt und den Schutz der Kirche nicht mehr gespürt. Es mochte daran liegen, dass er sich auch selbst etwas einbildete, zumindest hatte er sich das immer wieder eingeredet, aber das stimmte einfach nicht.
Es war keine Einbildung gewesen, da steckte schon etwas dahinter. Nicht grundlos hatte er das Pfarrhaus so überstürzt verlassen, worüber er sich wenig später Vorwürfe machte, denn er kam sich vor wie jemand, der einen Freund im Stich gelassen hatte. Er war in die weite Landschaft hineingegangen, ohne ein Ziel zu haben. Er wollte einfach nur weg von diesem seltsamen Ort, an dem sich so einiges verändert hatte, obwohl er äußerlich derselbe geblieben war.
Hin und wieder hatte er zurückgeschaut und die Kirche als einen mächtigen Schatten in der hereinbrechenden Dämmerung gesehen.
Seltsamerweise vermittelte ihm dieser Schatten keinen Schutz mehr oder das Gefühl der Sicherheit. Er war einfach anders, er war drohend, als wäre er von einem mächtigen Dämon aus einem finsteren Reich hinein in diese Welt geworfen worden.
Dieses Gebiet zwischen den beiden Dörfern war nicht gut. Hier stimmte einiges nicht. Auf den ersten Blick war es gleich geblieben, doch in dieser Welt gab es mehr als nur Äußerlichkeiten, sie hatte auch eine Rückseite, und dorthin wollte er schauen, und zwar mit dem Zweiten Gesicht, wie er es nannte.
Pinky war lange genug »on the road«, um gewisse Dinge überblicken zu können. Er wusste, zwar nicht genau, was lief, aber er kannte sich besser aus als die normal lebenden Menschen, weil er, der Außenseiter, für bestimmte Dinge ein anderes Feeling hatte. Er wusste immer genau, auf was es ankam, er hatte oft genug dem Atem der Natur gelauscht, und deshalb war er sehr sensibilisiert worden.
Es ärgerte Pinky, dass er den Pfarrer nicht direkt hatte warnen können, aber was, zum Henker, hätte er ihm sagen können? Dass er sich nicht wohl fühlte und es mit einem körperlichen Gebrechen nichts zu tun hatte? Dass er ein Mensch war, der hinter die Dinge schaute und deshalb ahnte, dass etwas auf ihn zukommen konnte, das normal nicht zu begreifen war oder verstandesgemäß zu fassen war?
Pinky merkte, wie er sich in seinen eigenen Gedanken verrannte.
Er war schnell gegangen, so schnell, dass er bei diesem Wetter ins Schwitzen geraten war. Dabei hatte er nicht mal auf die Richtung geachtet, das tat er erst, als er stehenblieb, um sich zu orientieren.
Zwar war es beinahe dunkel, doch er würde schon erkennen können, wo er gelandet war.
Der Landstreicher erschrak, als er sich schwer atmend umschaute.
Ohne es zu wollen, war er in die Richtung des Klosters gelaufen, und seine düstere Ahnung hatte sich noch mehr verdichtet.
War dieses Gebäude etwa die Quelle der unheimlichen und nicht erklärbaren Gefahr?
Er schaute hin.
Zu sehen war es nicht. Weil er sich eben hier auskannte, wusste er, wo er hingelaufen war, und er duckte sich plötzlich, als er den Klang der Kirchenglocke hörte.
Pinky drehte sich um.
Der Wind trieb ihm den Klang der Glocken entgegen, doch er beruhigte ihn nicht. Das wiederum wunderte ihn auch. Früher hatte er sich immer über das Läuten der Glocken gefreut, auch wenn es nicht an einem Sonntag gewesen war.
Heute aber nicht. An diesem Abend und eingepackt von einer ungewöhnlichen Dunkelheit hörte er aus ihnen etwas anderes hervor, etwas Warnendes und gleichzeitig Beunruhigendes. Er bildete sich auch ein, dass die Glocke ängstlicher klang als sonst, was sicherlich Unsinn war, aber er konnte nicht anders.
Dong… dong … dong …
So hallte es über das Land. Hochaufgerichtet stand der Landstreicher auf der Stelle, Kopf und Körper dem Klang entgegengerichtet; um sich von ihm einfangen zu lassen. Seine Augen waren weit geöffnet und hatten einen staunenden Ausdruck bekommen, doch eine Beruhigung wollte bei ihm nicht eintreten.
Das Läuten verlor allmählich an Lautstärke, und damit schwand auch die Hoffnung des Mannes. Er kam sich vor wie in
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