079 - Die Abenteuerin
letzten Monaten hast du dich vollkommen verändert. - Nun gut, wir werden ja sehen!«
Er war ehrlich erstaunt über sie und starrte sie verblüfft an.
Lucia war eine fesselnde Erscheinung - eine moderne, elegante Frau mit schlanker Figur, hübschem Gesicht und großen dunklen Kinderaugen. Außerdem bewegte sie sich mit entzückender Anmut. Mr. Thirtley wußte sehr wohl, welche Anziehungskraft sie auf die Männer ausübte, wenn auch er selbst nicht unter ihrem Einfluß stand. Ohne ihre Hilfe wäre es ihm schwergefallen, seine Opfer zu berauben. Je älter er wurde, desto mehr erkannte er seine Grenzen. Er hatte nicht mehr das unschuldige, harmlose Gesicht, das das beste Aushängeschild für seinen Beruf bildete und auf das früher fast alle begüterten Leute hereingefallen waren. Im Laufe der Jahre waren seine Züge scharf geworden, es prägte sich in ihnen eine gewisse Schlauheit und Gerissenheit aus, die seine Opfer warnte. Er mußte einen Partner haben, und schließlich hatte er Lucia Bradfield aus der Schule genommen, in der er sie hatte erziehen lassen. Damals war sie erst sechzehn Jahre alt gewesen. Nachher hatte sie ein sonderbares Leben geführt.
Bo Parker, der Betrüger, hatte auch einmal ein Mädchen zu seiner Helferin herangebildet, sich aber in sie verliebt. Als sie dann soweit war, daß sie ihm hätte nützen können, lief sie ihm fort und arbeitete mit Mr. Thirtley zusammen. Bo wurde ärgerlich darüber und wollte sich an Thirtley rächen, aber sie ging zur Polizei und verpfiff ihn, so daß er für sieben Jahre ins Zuchthaus gesteckt wurde. Zufällig wurde durch Bo auch ein gewisser Crewe Wall in die Affäre verwickelt, ein Falschspieler, der kaum seinesgleichen hatte. Auch sein offenes Geständnis änderte nichts an der Länge und Härte seiner Strafe. Mr. Thirtley dachte immer noch an das hübsche Mädchen und seufzte, denn sie war später auch ihm davongelaufen.
Mr. Thirtley hatte daraufhin seine Nichte zu seiner Assistentin herangebildet. Sie sollte die Opfer anlocken, die er auszuplündern gedachte.
»Du bist ja plötzlich ganz aufsässig geworden. Und doch habe ich dich gerade davor ausdrücklich gewarnt. Hier ist nun ein Mann -«
»Ich interessiere mich absolut nicht für ihn, wenn du darauf hinauswillst«, unterbrach sie ihn heftig. »Ich habe dir bei einer Anzahl von Coups geholfen, aber glücklicherweise hatten die nichts mit Liebe zu tun. Wenn du jetzt von mir verlangst, daß ich die Aufmerksamkeiten dieses jungen Mannes entgegennehmen und vielleicht gar meinen Kopf an seine Schulter lehnen soll, damit er mich schließlich umarmt und küßt, dann hat das nichts mehr mit unserer Abmachung zu tun.«
Lucia war wirklich ziemlich schwierig geworden. Sie war auch vorher schon nicht leicht zu behandeln gewesen, aber nun war sie so unnachgiebig und so wenig entgegenkommend, daß sie ihn unwillkürlich an seine frühere Partnerin erinnerte. Und dabei hatte er gerade jetzt einen Mann gefunden, dem er spielend leicht das Geld abnehmen konnte! Zwölftausend Pfund hatte Murdoch zur Verfügung, für die er landwirtschaftliche Maschinen in London einkaufen sollte.
»Wir wollen nicht miteinander streiten«, sagte er schließlich. »Setz deinen Hut auf, wir gehen jetzt aus.«
Auf dem Weg zum Restaurant Imperial war Lucia nachdenklich und zerstreut. Sie beschäftigte sich in Gedanken mit dem Herrn im dunkelblauen Anzug und überlegte, was er wohl von ihr denken würde, wenn er wüßte...
Mr. John Thirtley war zu klug, um ihr seinen Ärger zu zeigen, aber er fühlte sich nicht sehr behaglich.
Andrew Murdoch wartete in der mit Marmorplatten ausgelegten Halle des Imperial auf die beiden. Er war groß und schlank. Seine ernsten, melancholischen Augen leuchteten auf, als er Lucia auf sich zukommen sah. Mr. Thirtley schenkte er zunächst keine Beachtung.
»Ich möchte Ihnen etwas außerordentlich Seltsames erzählen«, begann er.
Wenn er lachte, sah er geradezu hübsch aus. Lucia hoffte, daß er um ihres inneren Friedens willen ernst und unzugänglich bleiben möchte.
»Ich freue mich, wenn Sie mir etwas Interessantes erzählen wollen, aber vor allem habe ich einen unheimlichen Hunger«, erwiderte sie.
Sie traten in den Speisesaal ein. Der Tisch, den Mr. Thirtley hatte reservieren lassen, stand in einer Fensternische, abseits von den anderen Gästen.
»So, und nun erzählen Sie mir Ihre seltsame Geschichte«, sagte sie und lächelte ihn an.
»Mir ist etwas Merkwürdiges passiert. Als ich aus dem Klub
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