079 - Im Würgegriff des Nachtmahres
wie ihren Augapfel hüteten.
Sie beantworteten auch Telefonate.
Larry wurde vom Portier mit dem Zimmer der Seherin verbunden. Der
Sekretär Sheherezades meldete sich.
X-RAY-3 erwähnte den Namen Morna Ulbrandsons. Larry wies darauf
hin, daß Madame Sheherezade ihr gestern abend heimlich eine Botschaft
zugeflüstert habe, die sehr wichtig für das Leben der Schwedin sei. Er sei mit
Morna Ulbrandson befreundet und rufe aus einem sehr wichtigen Grunde an. Ob es
möglich sei, die Seherin kurz zu sprechen ...
Der Sekretär bat um einen Augenblick Geduld.
Eine halbe Minute später wurde der Hörer wieder aufgenommen.
Eine dunkle, vollklingende Stimme tönte an Larrys Ohr.
Madame Sheherezade meldete sich persönlich.
„Entschuldigen Sie die Störung, Madame", sagte Larry, „mein
Name ist Brent."
„Larry Brent. Ja, ich weiß."
„Sie wissen?" Das Gesicht von X-RAY-3 war ein einziges
Fragezeichen.
„Sie gehören der gleichen Organisation wie Mademoiselle Ulbrandson
an. Sie sorgen sich um Ihre Kollegin? Das ist verständlich, Monsieur Brent. Sie
waren gestern abend ebenfalls im ,Noctambules'. Ich habe es erfahren durch das
Fluidum Ihrer Kollegin. Mademoiselle Ulbrandson arbeitet an einem Fall, der
ihre höchste Aufmerksamkeit erfordert." .
„Ich komme mit einer großen Bitte auf Sie zu, Madame."
„Bitte sprechen Sie. Wenn ich Ihnen helfen kann."
„Es geht darum, die Schuld oder Unschuld einer Person
nachzuweisen, die in einen geheimnisvollen Mordfall verwickelt ist. Die
Vorgänge, die zu der Tat geführt haben, sind rätselhaft, und alles weist darauf
hin, daß unsichtbare Mächte ihre Hände im Spiel haben."
„Es ist nicht meine Art, bei polizeilichen Ermittlungen
Hilfestellung zu leisten. Nur in besonderen Ausnahmefällen bin ich dazu
bereit."
„Es ist ein Ausnahmefall."
„Ich weiß. Es hätte mich auch gewundert, wenn Ihr Anruf nicht
gekommen wäre."
„Ich verstehe nicht, Madame . . ."
„Eine Seherin kennt auch ihr eigenes Schicksal, Monsieur Brent.
Ich bin noch hier, weil ich wußte, daß heute etwas auf mich zukommt, was meinen
künftigen Lebensweg entscheidend beeinflussen wird."
Larrys Miene wurde ernst.
Die Stimme der Seherin klang bedrückt.
Sie kamen überein, daß Larry und Tolbiac Louis Blanche zu ihr ins
Hotel bringen sollten.
Das wurde umgehend in die Wege geleitet.
Louis Blanche saß schweigend im Fond des Wagens, Larry Brent an
seiner Seite.
Man hatte davon abgesehen, Blanche Handschellen anzulegen. Man
wollte kein Aufsehen erregen. Und der Verdächtige machte nicht den Eindruck,
als beabsichtige er zu fliehen.
Alles ging glatt.
Über den Hintereingang betraten die drei Besucher das Hotel.
Madame Sheherezade erwartete sie schon in ihrem königlich eingereichteten
Appartement.
Die Seherin stand am Fenster. Freundlich begrüßte sie ihre
Besucher.
Sie blickte Louis Blanche kurz an und reichte ihm die Hand wie zur
Begrüßung.
„Sie können diesen Mann unbesorgt auf freien Fuß setzen,
Kommissar", sagte sie spontan und richtete ihre großen schwarzen Augen auf
Tolbiac. „Er ist kein Mörder. Er hat das Mädchen wirklich geliebt."
Tolbiac und Brent warfen sich einen schnellen Blick zu. Es gab
eine Absprache zwischen ihnen Tolbiac fiel es jedoch offensichtlich schwer,
sich ohne weiteres dem Schiedsspruch zu beugen.
„Gut", murmelte er. „Er kann gehen."
Louis Blanche verabschiedete sich stumm nickend und wurde von dem
Sekretär der Seherin zur Tür hinausgeführt.
„Es ist nicht leicht, die Dinge einfach hinzunehmen", meinte
Sheherezade. Ihre roten Lippen leuchteten wie eine schimmernde Blüte in ihrem
feingeschnittenen, vergeistigten Gesicht. „Er wußte wirklich nicht, worum es
geht. Aber Sie beide haben große Sorgen." Die Inderin ging auf Tolbiac zu.
„Sie waren in der letzten Nacht in dem Mordzimmer."
Es bedurfte keiner großen seherischen Gaben, um dies
festzustellen. Tolbiac war trotz allem, was er von Sheherezade gehört und nun
selbst erlebt hatte, voll innerer Abwehr. Nur weil Larry Brent aufgrund des
Gesprächs mit der PSA-Leitung in New York die Verantwortung für diesen Fall
übernommen hatte, gab er sich zufrieden.
Schon der Name Sheherezade störte ihn. Er wußte, daß Wahrsager und
Prognostiker, Hellseher und Chiromanten sich oft solche fantastisch klingenden
Namen zulegten. Sheherezade klang wie der Titel eines Märchens aus
Tausendundeiner Nacht, und alles, was mit der Inderin zu tun hatte, bekam etwas
Märchenhaftes, Unwirkliches. Er merkte,
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