0790 - Kristall aus der Vergangenheit
des Edelsteins, das frei sichtbar lag, herum wegzuschaufeln. Nicht dass André jemals einen echten Diamanten gesehen hatte, aber das hier sah genauso aus, wie er sich einen hochkarätigen Edelstein vorstellte.
Einen großen hochkarätigen Edelstein.
Heute war sein Glückstag.
Dachte er.
Als sich seine Finger um den vermeintlichen Diamanten schlossen, lief etwas wie ein Stromstoß durch seinen Körper und brannte seinen Verstand aus. Seine letzte vernünftige Handlung war es, vor dem Kristall wie vor einer angriffsbereiten Schlange zurückzuweichen.
Doch das nützte ihm nichts mehr.
Für ihn kam jede Hilfe zu spät.
***
Gerome Dorier machte eine Pause. Wohl verdient, wie er fand. Schließlich hatte er lange genug gearbeitet. Die Bierflasche zischte, als er sie mit einem scharfkantigen Stein öffnete, den er mit kundigem Auge rasch ausfindig machte. Es klang wie Musik in seinen Ohren.
Er stieß mit einem imaginären Partner an und leerte die Flasche auf einen Zug. Sie hatte sich in der Sonne aufgeheizt, aber die Temperatur war noch erträglich. Es ließ sich eben nicht ändern auf dieser verflixten Baustelle. Lauwarm rann die Flüssigkeit seine Kehle herab.
Gerome hatte eine ruhige Ecke gefunden, in die er sich ein paar Minuten zurückziehen konnte, ohne dass der Chef es merkte und ihn anpflaumen konnte. Gerade wollte er sich entspannen, als ein Presslufthammer losdonnerte.
Verdammt!
Warum mussten irgendwelche Übereifrigen jetzt am frühen Nachmittag Lärm machen und ihm seine Pause verderben? Wer konnte bei dem Geräuschpegel ein Schläfchen halten?
Er sah sich um, um den Verursacher der Störung ausfindig zu machen. Natürlich war es der übereifrige Dicke mit dem Glatzkopf. Wie hieß er doch gleich? Gerome hatte seinen Namen vergessen. Es interessierte ihn auch nicht, schließlich war er nicht hier, um Freundschaften zu schließen.
An den Namen des anderen, der eben von dem Dicken wegging, konnte sich Gerome erinnern. André hieß er. Ein spindeldürres Kerlchen. Gerome wunderte es, dass er die harte Arbeit auf dem Bau überhaupt aushielt.
André blieb vor einem frisch aufgeschütteten Erdhaufen stehen. Was er dort wohl suchte? Vielleicht war er genauso raffiniert wie Gerome selbst. Ja sicher, der kleine André suchte ein Plätzchen für eine unerlaubte Pause. Das war sein Geheimnis, deshalb hielt er die Anstrengung schon so lange durch.
Wenn Gerome ihn beim Baustellenleiter anschwärzte, würde er eine Belobigung bekommen. Die konnte er gut gebrauchen, denn bislang hatte er sich nicht mit Ruhm bekleckert. Der Chef hatte schnell bemerkt, dass er nicht der Typ war, der gerne den ganzen Tag arbeitete.
Er hatte Angst, bald gekündigt zu werden. Das konnte er sich nicht leisten. Die Mitgliedschaft in der Dämonensekte war nicht billig. Ihm wurde das Geld knapp und seinen Bruder konnte er nicht schon wieder anpumpen. Er durfte den Bogen nicht überspannen.
Jetzt wühlte der Dürre gerade im Dreck herum. Was für ein Spinner!
Doch dann bemerkte Gerome, wie André einen großen Edelstein freilegte. Ob das Ding echt war? Wahrscheinlich nicht…
...oder doch? Der Stein war noch nicht ganz zu sehen, aber er musste beinahe so groß sein wie seine Faust. In Geromes Gehirn überschlugen sich die Gedanken. Er musste diesen Kristall haben! Wenn er echt war, war er sicher ein Vermögen wert. Gerome kannte mehr als nur einen Hehler, der ihm ohne große Fragen ein dickes Bündel Geldscheine dafür auf die Theke legen würde.
Leichter verdientes Geld als durch die Schufterei auf der Baustelle.
Gerome stand auf und lief in Richtung des Erdhügels los. Er zwang sich, langsam zu gehen, damit er niemandem auffiel. Wenn niemand ihn sah, würde auch niemand dumme Fragen stellen können. Mit André würde er schon fertig werden. Beim geringsten Druck wird der weich wie ein Wackelpudding und über alles schweigen.
Gerome bemerkte, wie der Dürre mit einem leisen Aufschrei zurückzuckte. Er wandte sich um, und Gerome sah für einen kurzen Moment namenloses Entsetzen in seinen Augen. Dann entspannten sich seine Züge wieder, doch aus den Augen war jeder Glanz gewichen. Der rechte Mundwinkel hing schlaff herab.
»He, André, was hast du?« Gerome versuchte seiner Stimme einen unbeteiligten Tonfall zu geben. »Ich habe dich schreien gehört,«
Die Antwort bestand aus verständnislosem Kichern. Der Mund öffnete sich und formulierte schwerfällig ein paar Wörter. »Ww…was - hahastuh?«
Es klang eher wie das
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