0794 - Das Zauber-Zimmer
ging ich damit zu Fuhrmann hin, der halb auf der Seite und halb auf dem Rücken lag. Harry Stahl war unterwegs, um die Außentür zu schließen. Wir wollten von dort keine Überraschungen erleben. Fuhrmanns Sohn hatte sich zum Glück nicht blicken lassen.
Der nasse Lappen auf der Stirn tat Fuhrmann gut, er kam wieder zu sich.
Ich ließ ihm einige Minuten Zeit, um sich in der Wirklichkeit zurechtzufinden. Auch Harry Stahl stand jetzt in seiner Nähe. Ich hockte vor Walter Fuhrmann.
Bevor ich etwas sagen konnte, sprach er mit rauer Flüsterstimme, und uns wurde bewusst, dass er nichts vergessen hatte.
»Die Toten sind da, sie kehren zurück, und sie werden uns fressen – alle…«
***
Nach seinem Kommentar verging Zeit. Weder Harry Stahl noch ich kamen mit der Antwort zurecht. Wir hatten sie zwar verstanden, doch der Mann, der sich stöhnend aufrichtete, schien mehr zu wissen. Er fasste sich an den Kopf. Dann nahm er den feuchten Lappen entgegen, den ich ihm reichte. In seinem Nacken blieb er liegen.
Walter Fuhrmann atmete schwer. Ein nicht so kräftiger Mann hätte den Treffer nicht so leicht überstanden. Zwar musste auch Fuhrmann mit den Nachwirkungen kämpfen, er hatte immerhin schon eine Erklärung abgegeben, und auf die sprach ich ihn an.
»Woher wissen Sie das mit den Toten, Herr Fuhrmann?«
Der Schreiner schwieg. Er bewegte allerdings den Kopf und schaute sich in der Werkstatt um, als wollte er herausfinden, ob sich hier irgendwelche Gegner versteckt hielten. Seine Augen waren wieder normal. Sicherlich würde er selbst nicht begreifen können, was ihn da überfallen hatte, denn der Angriff mit der Säge hätte sehr leicht tödlich für uns enden können. »Ich weiß es eben.«
»Gut«, sagte ich. »Dann erklären Sie uns bitte, weshalb Sie uns angegriffen haben.«
»Das war ein Mordversuch«, fügte Harry hinzu, und er sah nicht eben aus, als wollte er lächeln. »So etwas kommt nicht von ungefähr. Sie haben sich von einem Augenblick auf den anderen gewandelt, sind vom Menschen zur Bestie geworden.«
Fuhrmann schaute zu Boden. Ob er sich Vorwürfe machte oder nur Zeit gewinnen wollte, konnten wir nicht sagen. Dann sagte er einen Satz, den wir nicht einordnen konnten, der aber mit seiner Handlung wohl nur indirekt zu tun hatte. »Sie sind noch immer da. Sie sind gar nicht weg. Ich weiß es, die anderen wissen es.«
»Darf ich fragen, von wem Sie sprechen?«
»Dürfen Sie, Kommissar. Es sind die Gäste aus dem Hotel. Die… die alten.«
Harry Stahl nahm es locker und lächelte. »Sie meinen das Hotel, das schon vor langer Zeit geschlossen worden ist? Das leer steht?«
»Ja.«
»Da gibt es keine Gäste mehr.«
»Irrtum, Kommissar.«
»Wir haben keine gesehen«, sagte ich.
Dieser Satz ließ Fuhrmann zusammenzucken. »Wieso? Waren Sie denn dort? Waren Sie im Hotel?«
»Ja.«
Er nahm die Arme hoch und presste die Hände für einen Moment gegen sein Gesicht. Als er wieder frei schauen konnte, schüttelte er den Kopf. »Das ist unmöglich. Niemand traut sich hinein, und wenn, dann kommt er lebend nicht mehr zurück.«
»Sehen wir etwa aus wie Tote?«
»Nein.«
»Eben.«
»Trotzdem. Sie… sie sind noch da. Ich habe es gespürt. Da war plötzlich etwas in mir. Sie haben den Toten gebracht. Ich kannte ihn. Es ist ein Fremder, ein Urlauber oder Wanderer. Er hat sich das Hotel anschauen wollen. Nun ja, er muss es getan haben, sonst wäre er nicht gestorben. Haben Sie ihn dort gefunden?«
Ich bestätigte es.
»Sehen Sie, so ist das dann.«
»Sie meinen also«, sagte Harry Stahl, »dass er von Wesen getötet wurde, die Sie als die alten Gäste bezeichnen. Als Menschen, die einmal dort gewohnt haben. Wahrscheinlich vor dem Ersten Weltkrieg, denke ich. Dabei ist es unmöglich, dass sie überlebt haben können.«
»Hier nicht.«
»Warum nicht?«, fragte ich.
Fuhrmann hob die Schultern. Wir hörten ihn laut atmen, doch eine Antwort kam nicht über seine Lippen. Er quälte sich damit ab.
»Bitte reden Sie!«, forderte ich ihn auf.
»Ja, ja, das werde ich. Es ist schlimm. Diese Leute, die dort abstiegen, sind nicht normal gewesen, erzählt man sich. Sie waren alle so seltsam, sie glaubten an schlimme Dinge. Man sprach vom Teufel. Sie sollen dort Schreckliches getan haben. Sie haben Feste und Orgien gefeiert. Man hat von Menschenopfern gehört. In den Nächten gellten Schreie über das Land. Es soll nach verbranntem Fleisch gerochen haben, und irgendwann war es dann vorbei.«
»Da zogen die
Weitere Kostenlose Bücher