0797 - Rasputins Tochter
Larissa zusammenzuckte und ihre linke Hand nicht mehr so stark gegen mein Gesicht drückte, als wollten die Finger die Haut wie Nadeln durchbohren. Ich riss den Kopf zur Seite, das Messer schrammte am Hals entlang, schnitt gerade noch in mein Ohrläppchen, aber es tötete mich nicht.
Ich wollte sie von mir stoßen, das war nicht möglich, denn sie klammerte sich mit beiden Händen an meinen Schultern fest.
Dies wiederum bewies mir, dass sie ihr verdammtes Rasiermesser nicht mehr festhielt, und mir wurde plötzlich klar, dass wir uns aus kurzer Distanz gegenseitig in die Augen starrten.
Bei dieser zittrigen und miesen Beleuchtung musste ich zweimal hinschauen, bevor ich erkannte, was sich da abspielte. Es war kaum zu glauben, aber ihr Gesicht hatte sich auf eine morbide Art und Weise verändert. Weg war die Schönheit, fort war die jugendliche Frische. Ich sah nichts mehr von der weichen reinen Haut, ich starrte stattdessen in die verlebten Züge einer uralten Frau, deren Lippen mich an weiche Rindenstücke erinnerten und aus deren Augen das Leben wich.
»Mamutschka…«
Das Wort drang ächzend und schleppend aus ihrem Mund, zusammen mit modrigem Atem und einem Schwall Blut, dem ich nur deshalb entging, weil ich ihren Körper blitzartig zur Seite wuchtete.
Sie tanzte taumelnd durch den Gang. Jetzt erinnerte sie mich an eine Marionette, deren Glieder nur noch an sehr losen Fäden hingen und dann überhaupt keine Verbindung mehr besaßen, denn Larissa sackte zusammen und blieb bewegungslos liegen.
Eine alte Frau.
Verbraucht, schon im Zustand der Verwesung, mit Augen, in denen kein Leben mehr war. Zuletzt hatte ich noch ein Knirschen gehört, sie war auf die kleine Glasflasche gefallen, die in ihrer linken Manteltasche steckte.
Das Blut der Mamutschka, das Blut Rasputins, versickerte im Fell des Mantels.
Ich fand endlich Zeit, mich um Fjodor zu kümmern. Mit taumelnden Bewegungen näherte ich mich ihm. Ich nahm noch meinen Dolch auf, steckte ihn ein und schauderte zusammen.
Fjodor hockte auf dem Boden. Er blutete am Hals, aber er lebte, und er hatte noch die Kraft gehabt, der verfluchten Mörderin drei geweihte Silberkugeln in den Körper zu jagen.
Er schaute mich an. »Tot…?« Ich nickte.
***
Wir brauchten uns nicht die alte Treppe nach oben zu quälen, denn wir kriegten Besuch.
Wladimir Golenkow und Suko erschienen im Keller. Beide im ersten Augenblick entsetzt, als sie uns sahen, denn wir bluteten beide aus mehreren Wunden.
Dann sahen sie Larissa, auf die ich wies.
Wladimir kniete sich neben sie und untersuchte die Frau. Suko sprach mich an. »Hast du sie…?«
»Nicht ich. Es war Fjodor, der mir wahrscheinlich das Leben gerettet hat. Aber Larissa ist tot, wenn du das meinst…«
»Und sie ist zu einer alten Frau geworden«, erklärte Wladimir, der meine Worte gehört hatte. »Zu einer alten Frau«, wiederholte er, wobei er sich schüttelte.
»Es war Mamutschka, deren Geist wohl in ihr war«, sagte ich.
»Und Rasputin?«
»Er ist tot, und sein Blut gibt es nicht mehr. Aber was ist mit seinen Dienern oder Jüngern?«
»Alles unter Kontrolle, John«, sagte Suko. Er und Wladimir kümmerten sich um den verletzten Fjodor, der ein Taschentuch gegen seine Halswunde gepresst hatte.
Sie hoben ihn an, trugen ihn weg und dann die Treppe hoch. Ich folgte ihnen mit schweren Schritten. Nach Larissa schaute ich mich nicht mehr um…
ENDE
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