08-Die Abschussliste
erzählen. Er war mürrisch und nicht sehr gesprächig, aber er gab einen guten Zeugen
ab. Das tun wenig hilfsbereite Leute oft. Sie versuchen nicht, einem zu gefallen. Sie versuchen nicht, einen zu beeindrucken. Sie erfinden nicht alles Mögliche, weil sie einem erzählen wollen, was man hören möchte.
Er hatte im Büro gesessen, allein, ohne irgendwas zu tun, als er gegen 23.25 Uhr hörte, wie eine Autotür zugeschlagen wurde. Dann war ein großer Turbodiesel angesprungen. Er schilderte das Krachen, mit dem der Rückwärtsgang eingelegt wurde, und das Klicken der einrastenden Differenzialsperre. Dann waren Reifengeräusche, Motorenlärm und knirschender Kies zu hören gewesen, als ein sehr großer, schwerer Wagen davonraste. Der Junge war von seinem Hocker aufgestanden und hinausgelaufen, um nachzusehen, hatte den Wagen aber nicht mehr zu Gesicht bekommen.
»Warum haben Sie im Zimmer nachgesehen?«, fragte ich ihn.
Er zuckte mit den Schultern. »Ich dachte, dort könnte es brennen.«
»Brennen?«
»Solche Sachen machen die Leute in Billigmotels. Sie setzen ihr Zimmer in Brand. Und dann hauen sie schleunigst ab. Nur so zum Spaß. Oder wegen sonst was. Keine Ahnung. Jedenfalls war’s ungewöhnlich.«
»Woher wussten Sie, in welchem Zimmer Sie nachsehen mussten?«
Über diesen Punkt schwieg er sich beharrlich aus. Summer bemühte sich, ihm eine Antwort zu entlocken. Dann setzte ich ihm zu. Wir wechselten uns als guter Cop und böser Cop ab. Schließlich gab er zu, Kramers Zimmer sei als einziges für die ganze Nacht vergeben gewesen. Alle anderen wurden stundenweise an Gäste vermietet, die nicht mit dem Auto, sondern zu Fuß aus der Bar herüberkamen. Deshalb war er sich auch ganz sicher, dass sich keine Nutte in Kramers Zimmer befunden hatte. Er war fürs Ein- und Auschecken verantwortlich. Kassierte die Stundenmiete und gab die Schlüssel aus. Kontrollierte ihr
Kommen und Gehen. Daher wusste er immer, wer wo war. Das gehörte zu seinen Pflichten. Der Teil seiner Beschäftigung, von dem er niemandem erzählen durfte.
»Jetzt bin ich meinen Job los«, sagte er.
Das machte ihm solche Sorgen, dass ihm Tränen in die Augen traten, Summer beruhigte ihn. Danach berichtete er, wie er Kramers Leiche entdeckt, die Cops benachrichtigt und vorsichtshalber alle Stundengäste weggeschickt hatte. Deputy Chief Stockton war nach ungefähr einer Viertelstunde aufgekreuzt, ich eine Weile nach ihm. Bei meinem späteren Wegfahren hatte er die gleichen Autogeräusche wie zuvor gehört. Den gleichen Motorenlärm, das gleiche Heulen des Antriebsstrangs, die gleichen Rollgeräusche. Das klang überzeugend. Da er schon zugegeben hatte, dass das Motel ständig von Nutten genutzt wurde, gab es keinen Grund mehr, uns zu belügen. Und Humvees waren noch relativ neu und selten. Und ihr Fahrgeräusch war charakteristisch. Deshalb glaubte ich ihm. Wir traten hinaus ins Freie.
»Keine Nutte«, stellte Summer fest. »Stattdessen eine Frau vom Stützpunkt.«
»Eine Offizierin«, sagte ich. »Vielleicht eine ziemlich hohe. Eine, die ständig Zugang zu ihrem eigenen Humvee hat. Niemand holt sich vor einem Rendezvous einen Wagen von der Fahrbereitschaft. Und sie hat seinen Aktenkoffer. Sie muss ihn haben.«
»Sie ist bestimmt leicht zu finden. Sie wird mit Aus- und Einfahrtszeit im Wachbuch stehen.«
»Möglicherweise bin ich ihr sogar unterwegs begegnet. Wenn sie hier um kurz vor halb zwölf wegfuhr, war sie nicht vor Viertel nach zwölf wieder in Bird. Um diese Zeit bin ich gerade aufgebrochen.«
»Wenn sie direkt zum Stützpunkt zurückgefahren ist.«
»Ja, wenn.«
»Haben Sie unterwegs ein Humvee gesehen?«
»Ich glaube nicht.«
»Wer ist sie Ihrer Meinung nach?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Hier gilt, was wir für die vermeintliche Nutte angenommen haben. Eine Frau, die er irgendwo kennen gelernt hat. Vielleicht in Irwin, aber es kann überall gewesen sein.«
Ich starrte zur Tankstelle hinüber. Beobachtete die auf dem Highway vorbeifahrenden Autos.
»Vassell und Coomer könnten sie kennen«, meinte Summer. »Sie wissen schon, falls Kramer schon länger ein Verhältnis mit dieser Frau hatte.«
»Ja, das wäre möglich.«
»Wo sind die beiden Ihrer Meinung nach?«
»Keine Ahnung«, sagte ich. »Aber ich wette, dass ich sie finde, wenn ich sie brauche.«
Ich fand sie nicht. Sie fanden mich. Sie warteten in meinem geliehenen Dienstzimmer auf mich, als wir zurückkamen. Summer setzte mich vor meiner Tür ab und fuhr
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