08-Die Abschussliste
weiter, um den Wagen abzuliefern. Ich ging durchs Vorzimmer. Am Schreibtisch saß wieder die Sergeantin vom Nachtdienst. Die Frau aus den Bergen, die einen kleinen Sohn hatte und sich Sorgen wegen ihres Gehaltsschecks machte. Aus der Handbewegung, mit der sie auf die innere Tür zeigte, schloss ich, dass dort drinnen jemand war. Jemand mit viel höherem Dienstgrad als sie oder ich.
»Gibt’s Kaffee?«, fragte ich.
»Die Maschine ist an«, antwortete sie.
Ich nahm den Becher mit hinein. Mein Jackett war noch immer aufgeknöpft, mein Haar zerzaust. Ich sah genau wie ein Kerl aus, der von einer Schlägerei auf einem Parkplatz kommt. Ich ging geradewegs zu meinem Schreibtisch. Auf den Besucherstühlen an der Wand saßen zwei Männer, die mich anstarrten. Beide trugen Kampfanzüge mit dem Tarnmuster »Waldland«. Der eine hatte an seinen Kragenecken den Stern eines Brigadegenerals, der andere den Adler eines Oberst. Auf dem Namensschild des Generals stand Vassell, auf dem des Oberst
Coomer . Vassell hatte eine Glatze, und Coomer trug eine Brille, und beide sahen aufgeblasen, alt, klein und weichlich genug aus, um im Kampfanzug ein wenig lächerlich zu wirken. Wie Rotarier auf dem Weg zu einem Maskenball. Mein erster Eindruck war, dass ich sie nicht besonders mochte.
Ich setzte mich in meinen Sessel und entdeckte auf der Schreibunterlage zwei exakt ausgerichtete Zettel. Der erste war eine Telefonnotiz, auf der stand: Ihr Bruder hat wieder angerufen. Dringend. Diesmal war eine Telefonnummer angegeben. Mit der Vorwahl 202. Washington, D. C.
»Sie grüßen höhere Offiziere wohl nicht?«, erkundigte sich Vassell.
Die zweite Telefonnotiz besagte: Anruf von Oberst Garber. Laut Polizei Green Valley ist Mrs. K. gegen zwei Uhr verstorben. Ich faltete beide Zettel einzeln zusammen und schob sie nebeneinander unter mein Telefon. Rückte sie so zurecht, dass ich beide genau halb im Blick hatte. Hob dann rechtzeitig den Kopf, um zu sehen, wie Vassell mich wütend anfunkelte. Seine Glatze lief allmählich rot an.
»Entschuldigung«, begann ich. »Was haben Sie gleich wieder gefragt?«
»Grüßen Sie höhere Offiziere nicht, wenn Sie einen Raum betreten?«
»Wenn sie Vorgesetzte sind«, sagte ich. »Aber Sie sind keine.«
»Das betrachte ich nicht als Antwort«, sagte er.
»Sehen Sie selbst nach«, erklärte ich. »Ich bin beim 110th Special Unit. Wir sind autark. Strukturell gehören wir nicht zum Rest der Army. Das muss so sein, wenn man’s sich recht überlegt. Wir könnten Sie nicht überwachen, wenn wir Ihnen unterstellt wären.«
»Ich bin nicht gekommen, um überwacht zu werden, junger Mann«, entgegnete er.
»Wozu sind Sie sonst hier? Für einen Höflichkeitsbesuch ist es ein bisschen spät.«
»Ich bin hier, um Ihnen ein paar Fragen zu stellen.«
»Fragen Sie nur«, sagte ich. »Anschließend habe ich ein paar Fragen an Sie. Und wissen Sie, was der Unterschied sein wird?«
Er gab keine Antwort.
»Ich werde aus Höflichkeit antworten«, sagte ich. »Sie werden antworten, weil das Militärstrafgesetzbuch es Ihnen vorschreibt.«
Er schwieg, musterte mich nur finster. Dann sah er zu Coomer hinüber. Dieser erwiderte seinen Blick und wandte sich dann an mich.
»Wir sind wegen General Kramer hier«, erklärte er. »Wir gehören zu seinem Stab.«
»Ich weiß, wer Sie sind«, sagte ich.
»Erzählen Sie uns von dem General.«
»Er ist tot«, sagte ich.
»Das wissen wir. Wir möchten Näheres über die Umstände erfahren.«
»Er hatte einen Herzinfarkt.«
»Wo?«
»In seinem Brustkorb.«
Vassell funkelte mich an.
»Wo ist er gestorben?«, fragte Coomer.
»Das darf ich Ihnen nicht sagen. Das betrifft noch laufende Ermittlungen.«
»In welcher Weise?«, wollte Vassell wissen.
»Auf vertrauliche Weise.«
»Es war irgendwo hier in der Nähe«, sagte er. »So viel ist inzwischen bekannt.«
»Nun, da haben wir’s«, sagte ich. »Worum geht’s bei der Konferenz in Irwin?«
»Was?«
»Bei der Konferenz in Irwin«, wiederholte ich. »Zu der Sie alle wollten.«
»Was soll mit der sein?«
»Ich muss wissen, was auf der Tagesordnung stand.«
Vassell sah zu Coomer, und Coomer wollte mir gerade etwas
mitteilen, als mein Telefon klingelte. Meine Sergeantin rief aus dem Vorzimmer an. Summer war bei ihr, und sie wusste nicht, ob sie sie reinschicken sollte. Ich bejahte. Also wurde angeklopft, und Summer trat ein. Ich stellte sie den Besuchern vor. Sie zog einen freien Stuhl heran und setzte sich so neben mich,
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