08 - Ehrenschuld
ist.«
»Können die Amerikaner Ihnen wirklich so sehr schaden? Ist es
möglich?« Verdammt, dachte Clark, es konnte schon sein.
»Es ist sehr gut möglich. Seit 1941 hat mein Land nicht vor einer
solchen Möglichkeit gestanden.« Es war eine beiläufige Äußerung, doch im
selben Augenblick, als er sie machte, fiel Kimura auf, wie genau sie den
Nagel auf den Kopf traf.
»Das kann ich in einem Bericht nicht schreiben. So schlimm wird es
doch nicht sein.«
Kimura blickte auf. »Das war auch nicht für einen Bericht gedacht. Ich
weiß, daß Ihre Agentur Kontakte zu den Amerikanern hat. Es kann nicht
anders sein. Heute hören sie nicht auf uns. Vielleicht hören sie auf Sie. Sie
treiben uns in die Ecke. Die zaibatsu wissen nicht ein noch aus. Es ist zu
schnell gekommen und zu weit gegangen. Wenn man Ihre Wirtschaft so
angreifen würde, was würde Ihr Land tun?«
Clark lehnte sich zurück, neigte den Kopf zur Seite und kniff die Augen
zusammen, wie es die Russen zu tun pflegten. Es war nicht vorgesehen, daß
der erste Kontakt mit Kimura substantielle Erkenntnisse bringen sollte, aber
es hatte sich so ergeben. Obwohl er nicht darauf vorbereitet war, beschloß
er, weiterzumachen. Der Mann schien eine vorzügliche Quelle zu sein und
wurde es noch mehr durch seine Verzweiflung. Im übrigen machte er den
Eindruck eines tüchtigen und ergebenen Beamten, und so traurig das auch
war - auf diese Weise funktionierte nun mal das Geheimdienstgeschäft. »In den achtziger Jahren haben sie es mit uns genauso gemacht. Ihre
Aufrüstung, ihr wahnwitziger Plan, Abwehrsysteme im Weltall zu
plazieren, die rücksichtslose Politik des äußersten Risikos, die ihr Präsident
Reagan betrieben hat - wußten Sie, daß ich während meiner Tätigkeit in
New York Teil des Projekts RYAN war?
Wir dachten, er plant einen Angriff auf uns. Ein ganzes Jahr habe ich
nach entsprechenden Plänen gesucht.« Oberst I. S. Klerk von der russischen
Auslandsspionage stimmte jetzt ganz mit seiner Deckidentität überein und
sprach wie ein typischer Russe, ruhig, leise, fast pädagogisch. »Aber wir
haben an der falschen Stelle gesucht. Wir hatten es die ganze Zeit vor
Augen und haben es nicht gesehen. Sie haben uns zu erhöhten
Rüstungsanstrengungen gezwungen und damit unsere Wirtschaft ruiniert.
Marschall Ogarkow forderte in seiner Rede vermehrte Anstrengungen von
der Wirtschaft, um mit den Amerikanern Schritt zu halten, aber die
Wirtschaft konnte nicht mehr. Um Ihre Frage mit einem Wort zu
beantworten, Isamu, wir hatten die Wahl zwischen Kapitulation und Krieg.
Der Krieg ist zu schrecklich und kam nicht in Frage ... Und jetzt bin ich hier
in Japan und vertrete ein anderes Land.«
Kimuras nächste Äußerung war so verblüffend wie zutreffend: »Dabei
hatten Sie weniger zu verlieren. Daß die Amerikaner das nicht kapieren!«
Er erhob sich und ließ einen Betrag auf dem Tisch zurück, der zur
Begleichung der Rechnung ausreichte. Er wußte, daß ein Russe sich ein
Essen in Tokio kaum leisten konnte.
Verdammte Kacke, dachte Clark und sah dem Mann nach. Da es ein
offenes Treffen gewesen war, hätte er einfach aufstehen und gehen können.
Aber er blieb sitzen. Isamu Kimura war ein sehr hochgestellter Beamter,
sagte sich der CIA-Agent und trank den Rest vom Sake aus. Über ihm gab
es nur noch eine Ebene von Laufbahnbeamten, danach kam ein politischer
Beamter, der eigentlich ein Sprachrohr der Laufbahnbeamten war. Kimura
hatte Zugang zu allem. Das hatte er einmal unter Beweis gestellt, als er
ihnen in Mexiko half, wo John und Ding Ismael Qati und Ibrahim Ghosn
gefaßt hatten. Allein dafür stand Amerika tief in der Ehrenschuld dieses
Mann. Das machte ihn aber auch zu einer erstrangigen Nachrichtenquelle.
Die CIA konnte diesem Mann praktisch alles glauben, was er sagte. So, wie
dieses Treffen gelaufen war, konnte es dafür kein planmäßiges Drehbuch
geben. Seine Gedanken und Befürchtungen mußten authentisch sein, und
Clark war sich bewußt, daß sie schleunigst nach Langley mußten.
Wer ihn wirklich kannte, war nicht überrascht, als sich zeigte, daß Goto ein schwacher Mann war. So sehr es die politische Führung seines Landes belastete, spielte es nun Yamata in die Hände.
»Ich will nicht Ministerpräsident meines Landes werden«, verkündete
Hiroshi Goto in bühnenreifer Manier, »um der Vollstrecker seines wirtschaftlichen Ruins zu werden.« Seine Sprache war die des Kabukitheaters, stilisiert und poetisch. Er war ein gebildeter Mensch, das wußte der
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