08 - Ehrenschuld
bei sich, der einen gefährlichen Eindruck machte und vermutlich ein Leibwächter oder so etwas wie ein Sicherheitsmensch war. Nomuri wußte seinen Namen nicht, aber der Typ war unverkennbar. Der zaibatsu machte eine kurze Bemerkung zu ihm, aber um was es ging, war nicht zu verstehen. Dann stiegen die drei ein und fuhren weg. Goto erschien neunzig Minuten später, erfrischt wie immer. Jetzt verließ Nomuri die Flippermaschine und begab sich zu einem anderen Standort, einen Häuserblock weiter. Nochmals dreißig Minuten, und die kleine Norton kam heraus. Diesmal ging Nomuri ihr voraus, bog ab und wartete, so daß sie aufholen konnte. Fünf Minuten später war er sich sicher, das Gebäude zu kennen, in dem sie wohnte. Sie hatte etwas zu essen gekauft und trug es hinein. Gut.
»Morgen, MP.« Ryan kam gerade von der täglichen Lageinformation beim Präsidenten. Jeden Morgen mußte er sich dreißig bis vierzig Minuten lang die Berichte der verschiedenen staatlichen Geheimdienste anhören und anschließend die Erkenntnisse im Oval Office vortragen. Heute morgen hatte er seinem Chef wieder einmal berichtet, daß nichts Besorgniserregendes vorliege.
» SANDALWOOD «, sagte sie zur Eröffnung des Gesprächs.
»Ja und?« fragte Jack und lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Ich hatte eine Idee und habe sie ausprobiert.«
»Um was ging's?« fragte der Nationale Sicherheitsberater »Ich habe Clark und Chavez beauftragt, THISTLE zu reaktivieren, Ljalins
altes Netz in Japan.«
Ryan war verdutzt. »Das sollte doch niemals wieder ...«
»Ihm ging es hauptsächlich um Wirtschaftsspionage, und wir haben
diesen Erlaß des Präsidenten, wissen Sie das nicht mehr?«
Jack unterdrückte ein Murren.
THISTLE hatte Amerika einmal gute Dienste geleistet, und das nicht
durch Wirtschaftsspionage. »Okay, also was ist?«
»Hier.« Mrs. Foley überreichte ihm ein eng beschriebenes Fax. Nach dem ersten Absatz blickte Ryan auf. »Echte Panik im Kapitol.«
»Das behauptet der Mann zumindest. Lesen Sie weiter.« Jack griff nach einem Bleistift und kaute auf dem Ende herum.
»Okay, was noch?«
»Es ist so gut wie sicher, daß ihre Regierung stürzt. Während Clark mit
diesem Typ sprach, hat Chavez mit einem anderen gesprochen. In ein oder zwei Tagen wird es auch das Außenministerium mitkriegen, aber es scheint, daß wir zur Abwechslung mal die ersten waren.«
Jetzt richtete Jack sich auf. Eigentlich nicht überraschend. Brett Hanson hatte von dieser Möglichkeit gesprochen. Das State Department hatte als einzige Behörde Bedenken gegen den TRA geäußert, aber die waren gewissermaßen in der Familie geblieben.
»Noch was?«
»Hm, ja. Wir haben das vermißte Mädchen aufgetrieben. Anscheinend handelt es sich um Kimberly Norton, und ob Sie es glauben oder nicht, sie steht in enger Beziehung zu Goto, und der wird der nächste Ministerpräsident«, schloß sie lächelnd.
Das war schon sehr komisch, allerdings kam es auf die Perspektive an. Amerika hatte jetzt etwas in der Hand, was es gegen Goto verwenden konnte, und der schien dazu ausersehen, der nächste Ministerpräsident zu werden. Gar nicht so übel ...
»Reden Sie weiter«, verlangte Ryan.
»Wir könnten ihr einen unentgeltlichen Heimflug anbieten, oder wir könnten ...«
»MP, das kommt nicht in Frage.« Ryan schloß die Augen. Er hatte schon daran gedacht. Er hatte dazu geneigt, die Sache eher distanziert zu betrachten, aber dann hatte er ein Foto des Mädchens gesehen, und mit dem Versuch, seine distanzierte Haltung aufrechtzuerhalten, war es spätestens vorbei, als er nach Hause kam und seine eigenen Kinder sah. Vielleicht war es eine Schwäche, daß er nicht imstande war, mit Menschenleben zu spielen, wenn es um die Interessen seines Landes ging. Auf jeden Fall konnte er diese Schwäche gut mit seinem Gewissen vereinbaren. Außerdem: »Die kann man doch nicht wie eine ausgebildete Agentin einsetzen. Das ist ein armes Mädchen, die von zu Hause abgehauen ist, weil sie ein schlechtes Zeugnis bekommen hat.«
»Jack, meine Aufgabe ist, über Optionen nachzudenken, vergessen Sie das nicht.« Alle Staaten der Welt taten es, natürlich, auch Amerika, auch in diesen fortschrittlichen feministischen Zeiten. Es waren durchweg hübsche Mädchen, intelligente Mädchen, vielfach Sekretärinnen im Staatsdienst, die irgendein Geheimdienst herumgekriegt hatte und die nicht schlecht damit verdienten. Offiziell hatte Ryan von solchen Operationen keinerlei Kenntnis, und dabei sollte es auch bleiben.
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