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08 - Ehrenschuld

08 - Ehrenschuld

Titel: 08 - Ehrenschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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Gehorsam forderte. Was von oben kam, mußte man akzeptieren, und deshalb waren seine Landsleute so leicht zu manipulieren.
    Die bitterste Erkenntnis für den Ministerpräsidenten war, daß er tatsächlich geglaubt hatte, das ändern zu können. Seine wahre Vision, die er nur sich selbst eingestand, war ein sichtbarer und grundlegender Wandel seines Landes. Damals war es ihm gar nicht als etwas so Großartiges vorgekommen. Als er die Korruptheit der Amtsträger aufdeckte und geißelte, hatte er dem Volk begreiflich machen wollen, daß die da oben der Dinge, die sie von ihm forderten, nicht würdig waren, daß die einfachen Bürger die Ehre und den Anstand und die Intelligenz besaßen, ihren Lebensweg selbst zu bestimmen und sich eine Regierung zu wählen, die unmittelbarer auf ihre Bedürfnisse einging.
    Das hast du wirklich geglaubt, du Narr, sagte er sich und starrte aufs Telefon. Die Träume und Ideale der Jugend waren doch ziemlich zählebig. Er hatte schon damals alles gesehen, und es hatte sich nichts geändert. Erst jetzt begriff er, daß es die Kräfte eines Mannes und einer Generation überstieg. Jetzt wußte er, daß er, um einen Wandel zu erreichen, auf wirtschaftliche Stabilität im Lande angewiesen war, und um dieser Stabilität willen mußte er sich der alten Ordnung bedienen, und das alte System war korrupt. Es war eigentlich ein Witz: Er war wegen der Mängel des alten Systems ins Amt gekommen, mußte dieses System aber restaurieren, um es anschließend hinwegfegen zu können. Das war es, was er nicht richtig begriffen hatte. Das alte System hatte die Amerikaner zu sehr bedrängt und wirtschaftliche Vorteile für sein Land eingeheimst, von denen die Schwarzen Drachen nicht einmal geträumt hatten, und als die Amerikaner reagiert hatten, teils fair und großzügig, teils unfair und bösartig, waren die Bedingungen gegeben, die seine Amtsübernahme ermöglicht hatten. Doch die Wähler, dank deren Abstimmungsverhalten seine Koalitionsregierung zustande gekommen war, hatten von ihm eine rasche Besserung ihrer Lage erwartet, was es ihm nicht leicht machte, Amerika weitere Zugeständnisse zu machen, die die wirtschaftlichen Schwierigkeiten seines Landes nur verschlimmern würden, und so hatte er versucht, einerseits zu mauern und andererseits zu verhandeln, und jetzt wußte er, daß beides zugleich nicht möglich war. Dazu bedurfte es einer Geschicklichkeit, die niemand besaß.
    Das wußten auch seine Feinde. Sie hatten es vor drei Jahren gewußt, als er seine Koalition gebildet hatte, und geduldig abgewartet, daß er scheiterte
- und mit ihm seine Ideale. Die Maßnahmen der Amerikaner konnten lediglich den Zeitpunkt beeinflussen, nicht aber das Endresultat.
    Konnte er jetzt noch etwas tun? Er brauchte nur den Hörer abzunehmen und sich mit Roger Durling verbinden zu lassen, um ihn persönlich zu ersuchen, das neue amerikanische Gesetz abzuwenden und unverzüglich in Verhandlungen einzutreten. Aber das würde vermutlich nicht klappen. Für Durling würde es einen herben Gesichtsverlust bedeuten, eine typisch japanische Vorstellung, wie die Amerikaner glaubten, die aber für sie genauso Gültigkeit hatte wie für ihn. Es kam noch hinzu, daß Durling nicht an seine ehrliche Absicht glauben würde. Unaufrichtige Verhandlungen seit einer Generation hatten den Brunnen so gründlich vergiftet, daß die Amerikaner keinen Anlaß hatten zu glauben, daß es nun anders sei - und um ehrlich zu sein, würde er es vermutlich ohnehin nicht schaffen. Seine parlamentarische Koalition würde die Zugeständnisse, die er würde machen müssen, nicht überleben, denn es ging um Arbeitsplätze, und da die Arbeitslosigkeit die Rekordmarke von über fünf Prozent erreicht hatte, besaß er nicht die politische Kraft, um das Risiko einzugehen, daß sie noch weiter anstieg. Und so würde, weil er die politischen Auswirkungen eines solchen Angebots nicht überleben konnte, etwas Schlimmeres eintreten, und auch das würde er nicht überleben. Im Grunde ging es nur darum, ob er seine politische Karriere selbst zerstören oder sie von einem anderen zerstören lassen würde. Was war schmählicher? Er wußte es nicht.
    Er wußte hingegen, daß er es nicht über sich brachte, bei seinem amerikanischen Kollegen anzurufen. Es wäre eine Übung in Vergeblichkeit gewesen, genau wie seine ganze Karriere, das war ihm jetzt klar. Das Buch war bereits geschrieben. Sollte doch ein anderer das Schlußkapitel liefern.

11 / Zeitenwende
    Der Trade

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