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08 - Ehrenschuld

08 - Ehrenschuld

Titel: 08 - Ehrenschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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Volk, verglichen mit dem Rest der Welt noch immer ein junges Land mit all den Eigenschaften der lebhaften Jugend. Wenn jemand also Besitz hatte, den er schützen wollte, und nicht recht wußte, wie er ihn schützen konnte, dann kaufte er in der Regel US-Schatzwechsel. Verlockend war zumeist nicht die Verzinsung, aber die Sicherheit.
    Das war heute anders. Die Banker in aller Welt sahen, daß Hongkong und Tokio massiv und schnell ausgestiegen waren, und die über die Wirtschaftsdienste verbreitete Begründung, man verlagere seine Bestände aus dem Dollar in den Yen, lieferte überhaupt keine Erklärung für das Ganze, erst recht nicht, nachdem man sich telefonisch nach dem Motiv dieser Transaktion erkundigt hatte. Dann wurde bekannt, daß weitere japanische Banken sich in einer behutsamen, geordneten und raschen Bewegung von ihren Beständen an Schatzanweisungen trennten. Gleichzeitig begannen Banken in ganz Asien, dasselbe zu tun. Die dritte Verkaufswelle belief sich auf annähernd sechshundert Milliarden Dollar, fast alles kurzfristige US-Schatzwechsel, die die derzeitige US-Regierung als Mittel gewählt hatte, um ihr Haushaltsdefizit zu finanzieren.
    Der Dollarkurs war bereits im Fallen begriffen, und mit dem Einsetzen der dritten Verkaufswelle, die sich in einer Zeitspanne von weniger als neunzig Minuten vollzog, wurde der Sturz noch forciert. In Europa waren die Händler auf dem Weg nach Hause, als ihre Handys zu piepen begannen und sie an die Arbeit zurückriefen. Etwas Unerwartetes war im Gange. Analysten fragten sich, ob es etwas mit dem allmählich bekannt werdenden Sexskandal in der amerikanischen Regierung zu tun habe. Für die Europäer war es immer unverständlich, daß die Amerikaner sich so auf die sexuellen Spielchen ihrer Politiker fixierten. Es war töricht, puritanisch und irrational, doch für die amerikanische politische Szene war es gleichzeitig real, und das machte es zu einem relevanten Faktor für ihre Einschätzung amerikanischer Staatspapiere. Der dreimonatige US-Schatzwechsel war bereits um 19/32 Punkte gesunken, und infolgedessen hatte der Dollar gegenüber dem britischen Pfund um vier Cent nachgegeben, noch stärker gegenüber der deutschen Mark und abermals stärker gegenüber dem Yen.
    »Was zum Teufel ist hier los?« fragte ein Mitglied des amerikanischen Zentralbankrats. Der gesamte Rat, unter Fachleuten als Open Market Committee bekannt, war um einen einzigen Computerbildschirm versammelt und verfolgte mit ungläubigem Staunen die Entwicklung. Keiner von ihnen konnte einen Grund für dieses Chaos finden. Gewiß, da war diese Aufregung über Vizepräsident Kealty, aber schließlich war er nur Vizepräsident. Eine Zeitlang hatte die anhaltende Ungewißheit über die Auswirkungen des Trade Reform Act für gewisse Schwankungen am Aktienmarkt gesorgt. Aber was war das für eine üble Synergie, die hier am Werke war? Das Problem war - und sie wußten es, ohne ein Wort darüber zu verlieren -, daß sie möglicherweise nie erfahren würden, was hier wirklich vorging. Manchmal gab es Dinge, für die sie keine rechte Erklärung hatten. Manche Dinge passierten einfach, wie wenn eine Rinderherde durchging, ohne daß die Treiber einen Grund sahen. Als der Dollar um volle hundert Basispunkte, also um ein Prozent seines Werts, gefallen war, begaben sie sich in das Allerheiligste ihres Sitzungszimmers und ließen sich nieder. Die Diskussion kam rasch auf den Punkt. Es gab einen Run auf den Dollar. Den mußten sie unterbinden. Statt wie geplant am Ende des Arbeitstages eine Heraufsetzung des Diskontsatzes um einen halben Punkt bekanntzugeben, würden sie einen ganzen Punkt höher gehen. Eine starke Minderheit wollte sogar noch mehr, gab sich aber mit diesem Kompromiß zufrieden. Die Bekanntgabe sollte unverzüglich erfolgen. Der PR-Chef der Fed entwarf eine Erklärung für den Vorsitzenden, der sie vor den Fernsehkameras verlesen würde, und zugleich würde die Erklärung an die Nachrichtenagenturen hinausgehen.
    Als die Broker nach dem Mittagessen an ihre Schreibtische zurückkehrten, war aus einem ziemlich ruhigen Freitag etwas völlig anderes geworden. In jedes Büro wurden Kurzfassungen von in- und ausländischen Nachrichten eingespielt, weil diese Ereignisse sich auf den Markt auswirken konnten. Die Mitteilung, daß die Fed den Eckzins um einen ganzen Punkt erhöht hatte, löste fast überall ein halbminütiges Schweigen aus, nicht selten unterbrochen durch ein halblaut gemurmeltes »Ach du

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