08 - Ehrenschuld
machen können. Jede Kauf- bzw. Verkaufsorder hätte unverzüglich hinausgeschickt werden können, aber das war unübersichtlich - allein der Verwaltungsaufwand hätte die Kapazitäten der gesamten Branche überfordert. Statt dessen sollte die DTC Ordnung in das Datenchaos bringen. Die Transaktionen wurden am Ende des Tages nach Handelshaus, nach Wertpapieren und nach Kunden hierarchisch zusammengefaßt, so daß jedes Haus nur eine begrenzte Zahl von Schecks auszustellen brauchte - jedenfalls war das der Grundgedanke, auch wenn die Überweisungen größtenteils elektronisch erfolgten. Auf diese Weise senkten die Häuser ihren Verwaltungsaufwand, und zugleich wurden jedem Teilnehmer an dem Spiel zahlreiche Mittel an die Hand gegeben, um seine eigene Tätigkeit zu verfolgen und zu messen, einerseits für Zwecke der internen Kontrolle, andererseits für die Weiterentwicklung der mathematischen Modellierung des Marktes insgesamt. Das schien eine Operation von unfaßlicher Komplexität zu sein, doch durch den Einsatz von Computern war es eine Routineangelegenheit, und es war weitaus effizienter als schriftliche Eintragungen in ein Sparbuch.
»Wow, irgendwer versucht, die Citibank schlechtzumachen«, sagte der System-Controller.
Das Börsenparkett bestand aus drei Sälen. Ein vierter Saal war im Bau, und Unglückspropheten wiesen bereits darauf hin, daß bei jeder räumlichen Erweiterung der Börse etwas Schlimmes passiert sei. Die Gemeinschaft der Börsenjobber hatte, obwohl sie zu den rationalsten und nüchternsten Geschäftsleuten gehörte, ihre eigenen abergläubischen Vorstellungen. Tatsächlich bestand die Gemeinschaft aus individuellen Firmen, die jeweils ihr Spezialgebiet und die Verantwortung für eine Reihe von nach Typen zusammengefaßten Wertpapieren hatten. Eine Firma handelte beispielsweise acht bis fünfzehn Pharmaziewerte. Eine andere verwaltete eine entsprechende Anzahl von Bankaktien. Die eigentliche Funktion der New Yorker Börse bestand darin, Liquidität und zugleich einen Bewertungsmaßstab zu liefern. Man hätte Aktien überall kaufen und verkaufen können, in der Kanzlei eines Anwalts genauso gut wie im Speisesaal eines Country Club. Die meisten Umsätze in bedeutenden Aktien wurden in New York getätigt. Die New Yorker Börse war die älteste. Es gab außerdem den American Stock Exchange, Amex, und die jüngere National Association of Securities Dealers Automatic Quotation, deren sperriger Name durch die flotte Abkürzung NASDAQ wettgemacht wurde. Die New Yorker Börse war in ihrer Organisation sehr traditionell, und man konnte sagen, daß sie sich mit Händen und Füßen gegen die Automatisierung gesträubt hatte. Einigermaßen arrogant und spießig - die anderen Börsen waren in ihren Augen Zweitligisten, während sie sich selbst als Erstligisten sahen -, standen die hier tätigen Profis die meiste Zeit an ihren Kiosken, beobachteten verschiedene Anzeigetafeln, kauften und verkauften und verdienten wie die Handelshäuser an der von ihnen im voraus vermuteten Marge. Wenn der Aktienmarkt und seine Anleger die Herde waren, dann waren sie die Cowboys, und ihr Job war es, die Dinge im Auge zu behalten, die Referenzpreise festzusetzen, auf die sich alle anderen bezogen, und die Herde zusammenzuhalten und zu zügeln, und als Lohn dafür erzielten die besten von ihnen ein sehr gutes Einkommen, das sie für eine Arbeitsumgebung entschädigte, die im günstigsten Fall chaotisch und unfreundlich und im schlimmsten Fall mit der Situation eines Cowboys vergleichbar war, auf den eine durchgegangene Rinderherde in einer Stampede losraste.
Das erste Grummeln dieser Stampede hatte schon eingesetzt. Der Ausverkauf von US-Schatzwechseln wurde im Saal pflichtgemäß angezeigt, und die Anwesenden schauten sich nervös an und schüttelten den Kopf über die unsinnige Entwicklung. Dann erfuhren sie, daß die Fed scharf reagiert hatte. Die entschiedene Äußerung des Vorsitzenden konnte nicht sein Unbehagen verbergen, aber auf seine Worte kam es sowieso nicht an. Das einzige, was hier interessierte, war die Mitteilung des veränderten Diskontsatzes. Das war die Nachricht. Der Rest war Seelenmassage, und darauf gaben die Anleger nichts, sondern verließen sich lieber auf ihr eigenes Urteil.
Nach und nach gingen die Verkaufsorders ein. Der auf Bankaktien spezialisierte Händler war verblüfft über den Anruf von Columbus, aber das zählte nicht. Er meldete, daß er »fünfhundert Citi zu drei« habe, mit anderen Worten:
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