08 - Ehrenschuld
Kein Kontakt mit den bekannten Quellen. Auch wenn man sie auf die Straße läßt: Sie kennen sie nicht. Sie meiden ihre Nähe. Ihre Kontaktpunkte sind aufgeflogen, kapiert?« Clark begann fieberhaft nachzudenken, aber im Augenblick hatte das bloße Überleben die höchste Priorität. Um überhaupt irgend etwas zu erreichen, mußte man am Leben sein, und Nomuri war genau wie Chavez und er selbst ein »Illegaler«, und wenn man sie schnappte, konnte keiner mit Gnade rechnen.
Chet Nomuri nickte. »Damit sind Sie auf sich allein gestellt, Sir.«
»Stimmt, und wenn Sie uns aus den Augen verlieren, kehren Sie zu Ihrer Deckidentität zurück und unternehmen nichts. Verstanden? Gar nichts. Sie sind ein loyaler Japaner und bleiben in Ihrem Loch.«
»Aber ...«
»Aber gar nichts, Mensch. Sie unterstehen jetzt meinem Befehl, und für Zuwiderhandlungen werde ich Sie zur Rechenschaft ziehen!« Clark milderte seinen Ton. »Ihre oberste Priorität ist immer das Überleben. Wir geben keine Selbstmordpillen aus. Ein toter Agent ist ein dummer Agent.« Verdammt, dachte Clark, wäre die Mission von Anfang an anders gelaufen, hätten sie eine Routine festlegen können - tote Briefkästen, verschiedene Erkennungszeichen und Absicherungen -, aber dafür war jetzt keine Zeit mehr, und während sie hier im Schatten miteinander sprachen, konnte es jede Sekunde passieren, daß ein Tokioter seine Katze rausließ, entdeckte, daß ein Japaner mit einem gaijin sprach, und davon Meldung machte. Die Paranoiakurve war gestiegen, und sie sollte noch viel steiler werden.
»Okay, Sie sagen es, Mann.«
»Und nicht vergessen: Sie machen weiter wie bisher. Sie ändern nichts, außer vielleicht, daß Sie ein bißchen kürzertreten. Fügen Sie sich ein. Heulen Sie mit dem Rudel. Wer auffällt, kriegt es schmerzlich zu spüren. So, und nun zu dem Auftrag, den ich für Sie habe.« Clark erläuterte die Sache innerhalb einer Minute. »Kapiert?«
»Ja, Sir.«
»Verschwinden Sie.« Clark eilte auf der Seitenstraße zurück und betrat sein Hotel durch den Lieferanteneingang, der um diese Abendzeit unbewacht war. Gott sei Dank, dachte er, war die Kriminalität in Tokio so gering. In Amerika wäre der Eingang verschlossen gewesen oder hätte eine Alarmanlage gehabt, oder eine bewaffnete Zivilstreife hätte ihn bewacht. Selbst im Krieg war Tokio sicherer als Washington, D.C.
»Warum kaufen Sie sich nicht einfach eine Flasche, statt rauszugehen, um einen zu trinken?« fragte »Tschechow«, nicht zum ersten Mal, als er ins Zimmer zurückkam.
»Das sollte ich vielleicht tun.« Diese Antwort ließ den jüngeren Agenten von seiner russischen Zeitung hochfahren. Clark deutete auf den Fernseher, machte ihn an und suchte nach CNN Headline News in Englisch.
Jetzt muß ich mir was Neues einfallen lassen. Wie kriege ich bloß die Nachricht rüber? dachte er. Sie nach Amerika zu faxen war ausgeschlossen. Selbst die Interfax-Redaktion in Washington war ein zu großes Risiko, die in Moskau hatte nicht die erforderliche Entschlüsselungssoftware, und die CIA-Connection der Botschaft konnte er auch nicht benutzen. Für den Einsatz in einem befreundeten Land galten andere Regeln als für den in einem feindlichen Land, und niemand hatte damit gerechnet, daß sich plötzlich alles ändern würde. Daß er und andere CIA-Agenten eigentlich auf die kommenden Ereignisse hätten hinweisen müssen, war nur ein weiterer Punkt, über den sich der erfahrene Agent ärgerte; die entsprechenden Anhörungen im Kongreß würden sicher sehr unterhaltsam werden, sofern er überhaupt noch Gelegenheit haben sollte, sie zu genießen. Die einzige erfreuliche Nachricht war, daß er den Namen eines mutmaßlichen Tatverdächtigen für den Mord an Kimberly Norton hatte. Das war zumindest etwas, womit er sich im Augenblick beschäftigen konnte, da ihm sonst nichts Vernünftiges zu tun blieb. Als die Kurznachrichten kamen, war klar, daß CNN nicht wußte, was los war, und wenn CNN es nicht wußte, dann wußte es keiner. Das war doch einfach phantastisch, dachte Clark. Es war wie in der Geschichte von Kassandra, der Tochter des Königs Priamos von Troja, die immer schon wußte, was passieren würde, und auf die keiner hören wollte. Aber Clark konnte nicht einmal das, was er wußte, loswerden ... oder doch?
Sollte ich vielleicht ...? Nein. Er schüttelte den Kopf. Das war zu verrückt.
»Volle Kraft voraus«, sagte der Kapitän der Eisenhower.
»Volle Kraft voraus, aye«, bestätigte der Steuermannsmaat und
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