08 - Ehrenschuld
flüsterte er Clark die Hauptpunkte über dem Geräusch zu.
»Nördliches Rohstoffgebiet?« fragte John.
»Da. Komischer Ausdruck«, bestätigte Ding.
Nördliches Rohstoffgebiet, dachte er. Wieso klang das bekannt? Aber sie
hatten noch anderes zu tun, und das war schwer genug. Ding mochte zwar die paramilitärische Seite des Agentenlebens, aber dieses Spionagezeug war nicht so seine Sache. Zuviel Angst, zuvi el Verfolgungswahn.
Isamu Kimura war am verabredeten Ort. Zum Glück erlaubte ihm sein Beruf, viel unterwegs zu sein, und Begegnungen mit Ausländern waren nicht ungewöhnlich. Ein Vorteil war, daß er ein Auge für sichere Orte hatte. Diesmal waren es die Docks.
Clark fühlte sich noch unbehaglicher, wenn das möglich war. Bei jeder geheimen Rekrutierung gab es eine Phase, während der offener Kontakt ungefährlich war, aber die Sicherheit verminderte sich linear in einem hohen, aber unbekannten Ausmaß, und es gab noch andere Bedenken. Was waren Kimuras Motive? Clark wußte nicht, wie es Oleg Ljalin gelungen war, ihn anzuwerben. Geld war es nicht. Die Russen hatten ihm nie etwas bezahlt. Ideologie war es auch nicht. Kimura war kein Kommunist. War es sein Ego? Glaubte er, ihm stünde ein Posten zu, den jemand anders bekommen hatte? Oder, was das gefährlichste war, war er ein Patriot von der exzentrischen Sorte, der selbst entschied, was gut für sein Land war? Oder war er, wie Ding es ausgedrückt hätte, einfach total im Arsch? Kein sehr eleganter Ausdruck, aber nach Clarks Erfahrung kein so ungewöhnlicher Zustand. Clark wußte es einfach nicht, schlimmer noch, jedes Motiv rechtfertigte bloß, daß man sein Land verriet, und irgendwie war ihm bei solchen Leuten immer unbehaglich. Vielleicht mochten Polizisten auch keine Spitzel, sagte sich John. Kein großer Trost.
»Was ist denn so wichtig?« fragte Kimura, als sie den verlassenen Kai zur Hälfte heruntergegangen waren. Die Schiffe in der Bucht von Tokio waren deutlich zu sehen, und er fragte sich, ob der Treffpunkt aus diesem Grund ausgewählt worden war.
»Ihr Land hat Atomwaffen«, sagte Clark einfach zu ihm.
»Was?« Zuerst drehte er den Kopf, dann blieb er stehen, und sein
Gesicht wurde sehr bleich.
»Ihr Botschafter hat es am Samstag dem amerikanischen Präsidenten
gesagt. Die Amerikaner sind in Panik. Jedenfalls sagt uns das die Moskauer
Zentrale.« Clark lächelte auf sehr russische Art. »Ich muß sagen, Sie haben
meine berufliche Bewunderung, es so offen geschafft zu haben, besonders
daß Sie unsere eigenen Raketen als Träger dafür gekauft haben. Ich muß
Ihnen auch mitteilen, daß die Regierung meines Landes über diese
Entwicklung gar nicht erfreut ist.«
»Die Raketen lassen sich leicht auf uns richten«, fügte Chavez trocken
hinzu. »Sie machen die Leute nervös.«
»Ich wußte nichts davon. Sind Sie sicher?« Kimura ging weiter. »Wir haben eine hochrangige Quelle in der US-Regierung. Es ist keine
Fehlinformation.« Ding bemerkte, daß Clarks Stimme kühl und
geschäftsmäßig klang. Ihre Stoßstange ist zerkratzt. Ich kenne eine gute
Werkstatt.
»Also deshalb haben sie geglaubt, sie kämen damit durch.« Kimura
brauchte nicht mehr zu sagen. Es war deutlich, daß ein Stück des Puzzles
sich in seinem Kopf zusammengefügt hatte. Er atmete ein paarmal durch,
bevor er weitersprach: »Das ist Wahnsinn.«
Das waren für John drei der willkommensten Worte seit dem Tag, als er
aus Berlin zu Hause angerufen und gehört hatte, daß seine Frau nach der
Geburt ihres zweiten Kindes wohlauf sei. Jetzt war die Zeit für energisches
Handeln gekommen. Er sprach, ohne zu lächeln, ganz in seiner Rolle als
hoher russischer Geheimdienstoffizier, vom KGB zu einem der besten der
Welt ausgebildet:
»Jawohl, mein Freund. Wenn man eine Großmacht bedroht, ist es
wirklich Wahnsinn. Wer auch immer dieses Spiel spielt, weiß hoffentlich,
wie gefährlich es ist. Bitte beachten Sie meine Worte, Gospodin Kimura.
Mein Land ist äußerst besorgt. Verstehen Sie? Äußerst besorgt. Sie haben
uns vor Amerika und der ganzen Welt zum Narren gehalten. Sie haben
Waffen, die mein Land genauso leicht bedrohen können wie Amerika. Sie
haben Aktionen gegen die USA durchgeführt, und wir sehen keinen guten
Grund dafür. Das macht Sie in unseren Augen unberechenbar, und ein Land
mit Atomraketen und politischer Instabilität ist keine angenehme Aussicht.
Diese Krise wird sich ausweiten, falls nicht vernünftige Leute das Richtige tun. Ihre wirtschaftlichen Auseinandersetzungen
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