08 - Ehrenschuld
und innerhalb von weniger als einer Stunde sprachen die europäischen Wirtschaftskommentatoren von einem Dominoeffekt, da in allen Finanzzentren dasselbe passierte. Man nahm auch wahr, daß die Zentralbanken das gleiche Rezept anwandten, was die Federal Reserve Bank am Vortag versucht hatte. Nicht daß es eine schlechte Idee gewesen wäre. Doch solche Ideen funktionierten nur einmal, und die europäischen Investoren kauften nicht. Sie stiegen aus. Es war eine Erleichterung, als Leute anfingen, Aktien zu absurd niedrigen Preisen zu kaufen, und man war sogar dankbar, daß die Käufe mit dem wiedererstarkten Yen bezahlt wurden, dem einzigen hellen Licht in der internationalen Finanzwelt.
»Sie wollen mir erzählen, es wäre dermaßen schlimm?« fragte Robberton und öffnete die Kellertür zum Westflügel.
»Paul, glauben Sie, daß Sie clever sind?« fragte Jack. Die Frage überraschte den Secret-Service-Mann.
»Doch, ja. Und?«
»Warum meinen Sie also, andere wären cleverer als Sie? Sie sind's nicht, Paul«, fuhr Ryan fort. »Sie haben einen anderen Job, aber es hat nichts mit Intelligenz zu tun, sondern mit Ausbildung und Erfahrung. Diese Leute haben keine Ahnung, wie man eine Kriminaluntersuchung macht. Ich auch nicht. Jeder harte Job braucht Intelligenz, Paul, aber man kann nicht alle beherrschen. Also, kurz und gut, die sind nicht cleverer als Sie, vielleicht nicht mal so clever. Es ist nur deren Job, die Finanzmärkte zu managen, und Ihr Job ist ein anderer.«
»Meine Güte«, sagte Robberton und lieferte Ryan an seiner Bürotür ab. Die Sekretärin reichte ihm beim Hineingehen eine Handvoll Telefonnummern. Auf einer stand Dringend!, und Ryan wählte die Nummer.
»Sind Sie das, Ryan?«
»Richtig, Mr. Winston. Sie wollen mich sprechen. Wann?« fragte Jack, öffnete seinen Aktenkoffer und nahm die Geheimsachen raus.
»Jederzeit. Ich brauche neunzig Minuten, mein Wagen steht unten, meine Gulfstream auf dem Flugplatz, und ein Wagen wartet in Washington am Terminal.« Seine Stimme sagte den Rest. Es war dringend und wirklich ernst. Dazu kam Winstons Ruf.
»Ich nehme an, es geht um letzten Freitag.«
»Genau.«
»Warum ich und nicht Fiedler?« fragte Ryan.
»Sie haben hier gearbeitet, er nicht. Wenn er mit dabeisein soll, in Ordnung. Er wird's kapieren. Ich glaube, Sie werden es schneller kapieren. Haben Sie heute früh die Finanznachrichten verfolgt?«
»Klingt so, als ob Europa wegen uns kalte Füße bekommt.«
»Und es wird noch schlimmer kommen«, sagte Winston. Und wie Jack wußte, hatte er wohl recht.
»Wissen Sie, wie man die Sache wieder hinbiegen kann?« Ryan konnte fast hören, wie am anderen Ende voller Wut ein Kopf geschüttelt wurde.
»Ich wünschte, es wäre so. Aber vielleicht kann ich Ihnen erzählen, was wirklich passiert ist.«
»Das reicht für den Anfang. Kommen Sie, so schnell Sie können«, sagte Jack. »Sagen Sie dem Fahrer: Diensteingang West. Die Wachmannschaft wird Sie am Tor erwarten.«
»Danke fürs Zuhören, Dr. Ryan.« Er hängte auf, und Jack fragte sich, wann George Winston das wohl zum letzten Mal zu jemandem gesagt haben mochte. Dann begann er sein Tagespensum.
Das einzig Gute war, daß die Waggons, mit denen die H-11-Trägerraketen von der Fabrik nach irgendwo transportiert wurden, auf Normalspur liefen. Das schränkte die Suche auf acht Prozent des japanischen Streckennetzes ein und ließ sich außerdem auf Satellitenfotos erkennen. Die CIA sammelte routinemäßig Informationen, von denen man die meisten niemals verwerten würde und die außerdem all dem zum Trotz, was viele Bücher und Filme sagten, meistens offen zugänglich waren. Es kam nur darauf an, eine Eisenbahnkarte von Japan zu finden, um zu sehen, wo die Normalspurstrecken verliefen, und von da auszugehen, aber inzwischen gab es über zweitausend Meilen solcher Strecken, und der Himmel über Japan war nicht immer klar oder die Satelliten nicht immer direkt darüber, um in die Täler spähen zu können, die ein Land übersäten, das hauptsächlich aus vulkanischen Erhebungen bestand.
Aber es war auch eine Aufgabe, die der Agency vertraut war. Von den Russen mit ihrem Talent und der Manie für Geheimhaltung hatten die CIAAnalytiker mühsam gelernt, zuerst an den unwahrscheinlichen Stellen zu suchen. Eine offene Ebene war zum Beispiel ein wahrscheinlicher Standort, einfach zu erreichen, einfach zu bauen, einfach zu versorgen und einfach zu schützen. So hatte es Amerika in den sechziger Jahren gemacht in der fälschlichen
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