08 - Ehrenschuld
er Murray vertrauen konnte. In der Regel. »Es ist eine geheime Sache«, begann Jack und berichtete dann, was er gestern von Mary Pat erfahren hatte. Der FBI-Beamte nickte und lauschte mit unbewegter Miene.
»Das ist mir nichts Neues, Jack. Wir sind in den letzten Jahren verschiedenen Hinweisen nachgegangen, daß junge Damen - wie soll ich sagen - verleitet wurden. Das ist auch nicht das richtige Wort. ModelVerträge, etwas in diese Richtung. Der Anwerber gibt sich jedenfalls keine Blöße. Junge Frauen fahren rüber, arbeiten dort als Model, machen Werbeaufnahmen, derartige Sachen laufen ständig. Einige haben drüben den Grundstein für ihre Karriere in Amerika gelegt. Unsere Nachforschungen haben nichts ergeben, aber es gibt Hinweise, daß einige Mädchen verschwunden sind. Wir haben da besonders eine im Auge, auf die die Beschreibung Ihres Mannes passen würde. Kimberly Soundso, den Nachnamen hab' ich vergessen. Ihr Vater ist Polizeihauptmann in Seattle, und sein direkter Nachbar ist Stationschef unserer Dependance in Seattle. Wir haben diskret unsere Kontakte bei der japanischen Polizei abgeklopft. Ohne Ergebnis.«
»Was sagt Ihnen Ihr Instinkt?« wollte Ryan wissen.
»Hören Sie, Jack, ständig verschwinden Leute. Mädchen hauen scharenweise von zu Hause ab, um draußen ihren Weg zu machen. Da spielt der Feminismus mit, aber auch der Wunsch, ein selbständiger Mensch zu werden. Das passiert dauernd. Diese Kimberly Soundso ist zwanzig, war in der Schule nicht gut und ist einfach verschwunden. Kein Anhaltspunkt für eine Entführung, und mit zwanzig ist man erwachsen. Wir dürfen überhaupt keine strafrechtliche Ermittlung einleiten. Trotzdem, ihr Papa ist Bulle, und sein Nachbar ist beim FBI, und deshalb haben wir ein bißchen rumgeschnüffelt. Aber es ist nichts dabei herausgekommen, und weiter können wir nicht gehen, wenn nichts darauf hindeutet, daß gegen ein Gesetz verstoßen wurde. Und darauf deutet nichts hin.«
»Heißt das, daß Sie nichts machen können, wenn ein Mädchen über achtzehn verschwindet?«
»Wenn kein Anhaltspunkt für ein Verbrechen vorliegt, können wir nichts machen. Wir haben nicht die Leute, um jedem Fall nachzugehen, wenn sich ein junger Mensch auf eigene Füße stellt, ohne Mama und Papa Bescheid zu sagen.«
»Dan, Sie haben meine Frage nicht beantwortet«, bemerkte Jack, was seinen Besucher in Verlegenheit brachte.
»Drüben gibt es Leute, die an Frauen mit blonden Haaren und runden Augen Gefallen finden. Unter den vermißten Mädchen sind unverhältnismäßig viele blond. Wir haben das anfangs nicht kapiert, bis eine Beamtin anfing, sich bei ihren Freundinnen zu erkundigen, ob die Vermißten vielleicht in letzter Zeit ihre Haarfarbe geändert hätten. So war es tatsächlich, und seitdem fragte sie jedesmal danach. Auffällig oft wurde die Frage bejaht. Ich denke also schon, daß da was im Busch ist, aber wir haben nicht genug in der Hand, um Maßnahmen einzuleiten«, schloß Murray. Nach kurzer Überlegung fuhr er fort: »Sollten in diesem Fall Fragen der nationalen Sicherheit berührt sein, dann könnte ...«
»Was?« fragte Jack.
»... die Agency sich ja mal umschauen.«
Es war ein Novum für Ryan, daß ein FBI-Vertreter äußerte, die CIA könne eine Sache untersuchen. Sonst hütete das Bureau sein Territorium so eifersüchtig, wie eine Löwin ihre Jungen verteidigt. »Reden Sie weiter, Dan«, verlangte Ryan.
»Sie haben drüben eine schwunghafte Sexindustrie. Die Pornos, die sie sich am liebsten ansehen, kommen hauptsächlich aus Amerika. Die Nacktfotos in ihren Magazinen zeigen überwiegend weiße Frauen. Das nächstgelegene Land, das solche Frauen zu bieten hat, sind zufällig wir. Wir haben den Verdacht, daß einige dieser Mädchen nicht bloß Models sind, aber wir haben, wie gesagt, nichts herausgekriegt, um die Sache zu verfolgen.« Und dann gab es da noch ein doppeltes Problem, das Murray nicht erwähnte. Wenn tatsächlich etwas vorlag, war er nicht sicher, wieweit die japanischen Behörden mitziehen würden, und das konnte bedeuten, daß die Mädchen vielleicht für immer verschwinden würden. Wenn nichts vorlag, würde irgend etwas über die Art der Ermittlungen durchsickern, und die Presse würde das Ganze als ein weiteres Beispiel rassistischer Hetze gegen Japan aufbauschen. »Aber wenn ich mich nicht täusche, hat die Agency drüben eine Operation laufen. Wenn Sie mich fragen: Lassen Sie sie weiterlaufen. Ich kann, wenn Sie wollen, einige Leute über das
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